Und wenn man nicht gestorben ist, so weihnachtet es noch heute.

Photobucketnd wir werden sterben. Dahinsiechen an den grausamen Symptomen der Unterernährung. Die Tage werden gekennzeichnet werden von ebenso bitterem Hunger wie von Nahrungsmangel. Seht euch vor, ihr Bürger. Betet, hofft und plant die Einkaufszettel gut. Denn es geht um euer nacktes Überleben. Jedes missachtete Produkt wird zum Schicksalsschlag werden. Doch was wird geschehen? Wird ein Komet in das große Meer schlagen? Werden Immigranten wie Lemminge einfallen und durch die hiesigen Lebensmittelläden wüten? Wird die Sonne verglühen, werden die Getreideressourcen verfaulen oder die Klimaerwärmung mit 15 Meter Neuschnee alles zusammenbrechen lassen?
Mitnichten, es wird auch keine biblische Plage über uns kommen. Keine dieser Albernheiten von frühnaiven Menschheitstagen, die den aufgeklärten Bürger des 21ten Jahrhunderts nicht einmal mehr müde scheingruseln lassen. Dieses Lager an göttlichen Strafen haben wir doch längst in die Spielzeugkiste verbannt und uns Spielzeuge für Erwachsene gebastelt. Was brauchten wir die Anwesenheit Gottes um vom Trinkwasser innerlich kontaminiert zu werden. Um Geschwüren beim Gedeihen zu zusehen und diese liebevoll am Käfigtier zu pflegen. Um uns an dem Spaßfaktor von Viehpest zu erfreuen und dämliche Witze über todgeweihte Rinder zu reißen. Und um Erstgeborene verschwiegen lächelnd aus den Geburtenlisten zu radieren. Was brauchen wir die Angst vor Stechmücken, Fröschen und Heuschrecken, wenn wir nun selbst wie letztere über das fruchtbare Land der Supermärkte herfallen.

Denn seit gewarnt. Die größte Plage der Moderne steht wieder vor der Tür und hockt in schrecklicher Größe auf unserem Dach. Es ist das Schädelgrinsen des Schreckgespenstes für den eifrigen Konsumenten. Es ist der verkaufsfreien Feiertage, der uns nachts nicht mehr schlafen lässt. Uns mit seinen Knochenfingern unentwegt über das Mark streicht, als wolle es sagen: „Sieh Sterblicher, so knochig und tot werden auch die Deinen aussehen, wenn du nicht bunkerst.“.
Heimtückisch schneidet es uns die Lebensgrundlage ab und stützt uns erneut in den Überlebenskampf von drei oder gar vier Tagen Fressereikalkulation im Voraus. Und dann auch noch zum Feste. Jeder beginnt unterschwellig den Nachbarn nun freundlicher zu grüßen, da man nicht weiß, ob dieser nicht bei dem jetzigen Martyrium auf der Strecke bleibt. Überlebte dieser doch die letzten Male nur mit Mühe und Not. Auch auf seinem Dach hocken diese Feiertage, die sich diabolisch an das Wochenende schmiegen und uns so alle zum Totentanz aufrufen. Haustiere verkriechen sich wimmernd und hoffen, dass ihre Besitzer, bald völlig ausgezehrt, sie dann nicht riechen können. Denn irgendwann wird auch Tierfutter aufgehört haben dem Frauchen schmecken zu können; das wissen sie.
Und wer kennt sie nicht, die Endzeitstimmung solcher Tage. Auch wenn man sich danach im Rausch des erfolgreichen Überlebenskampfes befindet, so steckt man doch in tiefer Andacht über die Opfer solcher verkaufsfreien Tage.
Durchzieht die totenstillen Häuser am nächsten Morgen und findet sie nur noch liegend vor. Verhungert und verkrampf vor den leeren Kühlschränken, während die Kratzspuren und Bissstellen in der Tür metallisch gen Morgensonne glänzen. Oder all jene, die schon am Sonntag, Wahnsinnig vor Hunger, begonnen hatten, den Teppich zu fressen. Alles nur, weil sie die Gefahr unterschätzten. Sich für stark und ihre Vorräte für ausreichend hielten. Einen Leichtsinn, den die meisten mit tödlicher Raserei bezahlten. Während ihnen andere für den eben gekauften Brötchenbeutel zum Tausch kraftlos das ausgezehrte Kind hinhalten.
Verzweifelte Pilger, die ihrem falschen Propheten folgten und einsehen mussten, dass dieser doch nicht mit göttlicher Fügung die Schiebtüren des Supermarktes teilen konnte. Und nun verhungert von den Gehsteigen gekehrt werden. Niemand möchte zu diesen gehören. Allen ist das Leben zu heilig. Oder sind diese Szenarien doch nur ein Gerücht…

Dennoch stürzen sie panikartig und angestochen vom Festtagsstress in die Wirtschaftsmetropolen. Man selbst steht nur daneben und frage sich, ob die das alles wirklich mit Absicht machen. Oder doch nur einer inszenierten Satire folgen. Ist es womöglich der kalte Entzug von dem Stau des Berufsverkehrs, der die Menschen dazu führt, dass sie den Zwang verspüren, ebensolches Chaos mit Einkaufswagen nachspielen. Dieselbe Leidenschaft nun in die Wagenquerstange legen, da es ihnen durch den Pflichturlaub nicht mehr vergönnt ist, jeden Morgen genervt in das Lenkrad zu beißen. Man steht noch immer und staunt.
Es bilden sich Ausweichstaus, Metall kollidiert, Fahranfänger brechen unter Tränen zusammen und wünschen sich den Fahrlehrer herbei, der sich in den Wagen hock und mit stoischer Gelassenheit Beruhigung spendet. Männer schwitzen, Frauen keifen, Glas zerspringt. Einkaufswagen bersten und brechen zusammen. Panik. Schnell werden Wagenburgen errichten, um die letzten Päckchen eingeschweißtes Wildschweinfleisch zu verteidigen. Denn der Zusammenbruch blieb nicht unbemerkt, so die Kundschafter. Man ist schutzlos und erste Horden beginnen gierig starrend über den Wagenstau zu klettern. Oder unter die Körbe über die Wagenablagen zu kriechen.
Gefriertruhen husten an der Grenze ihres Leistungsvermögens die letzten Reste Kälte in die überhitzten Hallen. Man selbst duckt sich zwischen Regalen uninteressanten Inhalts ab und fragt sich, wo in Europa all die Luftschutzbunker schlummern mögen, in die das Zeug nun gekarrt wird. Wurde die Menschheit etwa vernünftig und plant zum Jahreswechsel den einzigen einsichtsvollen Gedanken? Nämlich für ein paar Jahrzehnte von der Bildfläche zu verschwinden…

5 Gedanken zu „Und wenn man nicht gestorben ist, so weihnachtet es noch heute.

  1. Mir würde es durchaus schon genügen, wenn sich die Hälfte der Menschheit mal in ihre Bärenhöhlen mit Lampenschirm und Spitzendeckchen für ein paar Tage zurückziehen würde. Konsum ist nur dann schön, wenn sonst keiner hingeht. Aber der Countdown zum apokalyptischen Ende läuft mal wieder… Every year the same procedure. Also, schnell nochmal zum Konsumtempel, der hat noch auf.

  2. In der Tat. Das würde schon genügen.

    Und dem geschah auch, zumindest hier im schrulligen Vorstadtidyll legten Schneemassen weit über Null und Temperaturen weit darunter den Bewegungsdrang der Einwohner lahm. So trauten sich niemand ohne triftigen Grund vor die Tür, geschweige denn ins Fahrzeug und somit fand man den Mobilitätstrubel angenehm gelichtet vor.
    Schön ist es dann, wenn man aufgrund von Verpflichtungen selber den ganzen Tag an den Rechner gebunden wird und diese Atmosphäre der Ruhe nicht auskosten kann. Denn in den paar Viertelstunden Pause ist die Motivation für Waldwanderungen oder einer fast meditativen Fotosafari ebenfalls nicht mehr vorhanden.
    Sitzt doch der Ärger über das schleichende Vorankommen und der Frust über nicht wahrnehmbare Trainingseinheiten im Nacken. Und so begibt man sich nicht in die Seelenruhe der Winterlandschaft, sondern in den überlaufenen Server eines MMORPG. Mit der Einsicht, dass man manchmal auch nicht weniger Idiotie in sich trägt, wie der Durchschnitt.

  3. Errare humanum est oder Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Erleuchtung ;-) Dafür gibt es dann die guten Vorsätze für´s Neue Jahr (die man immer wieder neu beginnt, um sie dann wieder brechen zu können).

    Da ich am Puls einer Großstadt sitze (allerdings in meiner persönlichen Bärenhöhle) und „draußen“ das muntere Treiben beobachten kann, ist mir „Stille“ irgendwie abhanden gekommen. Da ist leider nix mit spontaner Waldwanderung, man stolpert hier eher über Menschenberge als über Baumwurzeln.

    Es können Schneemassen (und der Yeti persönlich) kommen, die Temperatur auf -30 Grad fallen – die angeborene Hektik des Homo Sapiens ums nackte Überleben bleibt erhalten.

  4. …nullius nisi insipientis perseverare in errore.

    Im Grunde habe ich nichts gegen ein Leben vor dem Rechner. Tauschte ich diesen Arbeitsplatz mit Mouse und Adobe Bridge doch gerne gegen den mit Schaufel und Schubkarren. Doch wenn man hier sitzt und arbeitet, ohne zu wissen ob sich der Zeitvertreib überhaupt als gewinnbringend herausstellt, so blickt man doch sehnsüchtig zu dem Stadtrand hinüber.

    Der Platz am Puls der Großstadt ist durchaus praktisch und definitiv zweckmäßig. Aber auf meinen Reisen lernte ich, dass ich mich wohler an Orten fühle, die recht wenig Mensch pro Quadratmeter besitzen. Wenn es mich in den Kern einer Großstadt (zurück)ziehen würde, dann nur durch eine Heiligkeit von Arbeitsvertrag oder in Gegenden, von deren Kaltmieten ich heute noch alpträume.

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