as ist geschehen? Bei dem letzten themenungebundenen Eintrag lag doch die Sommersonne in meinem Gesicht. Und es strömte durch das geöffnete Fenster die Penetranz eben jener Jahreszeit. Drängte sich durch den Spalt und die Ritzen der zugedrehten Jalousie. Sind seitdem nicht erst ein paar Wochen verstrichen. Wohl nur gefühlt. Und bitter schmeckt die Gewissheit, dass nichts ernüchternder ist, als das Verstreichen von Zeit innerhalb der Untätigkeit. Denn Zeit verstrich unbemerkt und unbeachtet.
Hatten die Medien doch längst ihre Animationsangebote zur Hitzehysterie eingestellt. All das Grell und Glänz der Monate mit Partybefehl im Ausnahmezustand ist längst gewichen. Statt Bierfahnen und Grillfleischgestank bereichern nun Glühweinausdünstung und Lebkuchenmief die olfaktorische Wahrnehmung. Oder für mache andere auch den Geruchssinn.
Wobei es nicht wirklich überraschend kam. Schließlich wurde man doch behutsam vom Onkel Marktwirtschaft und Vater Staat darauf vorbereitet. Noch ehe einen Mutter Natur wieder tadelte. Denn schlagartig mit Winteridylle und Weihnachtswahn konfrontiert zu werden, sollten wirklich niemanden mehr zugemutet werden. Behutsame Heranführung ist der heutige Lauf der Dinge. Und so schlenderte man schon (oder noch) bei 24°C an Europaletten mit besinnlichen Dominosteinen vorbei; während man nach dem Sonnenöl und frisch gepressten O-Saft suchte. Während von überall die Aufschreie der reaktionären Traditionsfetischisten ertönten. Welche sich schlagartig solidarisierten und einen Kreuzzug der Konsumignoranz starteten. Ja nicht einmal die Regale eines Blickes würdigten.
Ohne dass über die Vorteile nachgedacht wurde. So wie das schon erwähnte behutsame Hinführen zur Winterdepression und Gewöhnung an die Kitschreizüberflutung; während noch der Spätsommer im Schädel dröhnt. Zudem konnte man endlich seinem kindlichen Wissensdurst nachgehen und diverse Forschungsprojekte ins Leben rufen. Zum Beispiel wie lange so ein Schokoweihnachtsmann in CocaCola-Tarnfarbe der Septembersonne standhielt. Ob Baumkuchen wieder Wurzeln schlägt. Oder mit wieviel Kilo Christstollen unter den Füßen man im Gartenpool übers Wasser laufen kann. Ein nur allzu pädagogisch wertvolles Experiment. Und ich bin froh, dass dieses nun in der offenen Gesellschaft des 21ten Jahrhunderts möglich ist. Immerhin musste meine Generation noch in der Trostlosigkeit aufwachsen, dass sich der Einzelhandel erst durch kurze Tage, Frost und Novembertristes zum Hervorwühlen des weihnachtlichen Sortiments genötigt sah. Wobei, damals gab es ja eh nichts. Doch zu allem Frust trudelten die dahingehenden Westpakete auch erst im Dezember ein.
Ist nun aber wirklich schon Winter? Sodass das Grell und Glänz dem Leucht und Bunt wich, der Partybefehl zum besinnlichen Heiterkeitsdiktat wurde und der Ausnahmezustand sich zum Kriegsrecht mauserte? Dem ewigen Kampf zwischen Mensch und Natur. Bei dem der Stolz auf sich als urbane technisierte Menschenrasse von den ersten Schneeflocken den Gnadenschuss erfährt.
In der Tat; es ist schon Winter. Gar schon Weihnachten. Spätestens der Blick aus dem Arbeitszimmer ließ jeden Zweifel verpuffen. Druck- und Laufbildmedien prahlen mit dem Leid dunkelhäutiger Kinder. Rufen zum schlechten Gewissen darüber auf, dass man in einem wohlhabenden Industrieland geboren wurde. Traditionsbewusste Fensterdekoration erheitert durch Ressourcenverschwendung und Lichtverschmutzung. Innenraumgepflanzte Jahresendgehölze erzählen stumm von ihrer Baumschulzeit innerhalb der Monokultur und streben im bunten Sterbekleid ihrem Vertrocknen entgegen. Während das Nutzwild immerhin noch seine letzten Tage innerhalb der Waldumzäunung erleben darf. Bevor die brave Hausfrau das letzte Schrot aus ihm als Feiertagsbraten pult.
Man selber möchte aus der Türe, aus dem Haus heraus und der Natur entgegentreten. Möchte sich dem Witterungsextrem entgegenstellen. Diesem trotz des Daseins als Jahreszeitenneurotiker trotzen. Möchte eins sein, mit der sterbenden Natur. Deren letzten friedlichen Atem als Schneeböe spüren. Sie auf dem Weg des Vergehens begleiten und ehrfürchtig vor deren kargen Idylle verharren. Sich der schonungslosen Schönheit bewusst sein und die ewige Endlichkeit vor Augen haben. Möchte sich an das Sommergewand zurückerinnern und das neue Aufblühen hervorträumen. Der Moment an dem der Schnee die Asche sein wird, aus dem sich die Natur wie ein Phönix erheben wird. Man möchte spüren wie nichtig der Mensch gegenüber der Natur ist. Wie schutzlos und ausgeliefert.
Stattdessen steht man am Straßengraben, friert aus Übermüdung und sieht nur den aschgrauen Matsch des Straßenschnees. Bis der Blick vom nahe liegenden Weihnachtsmarkt erfasst wird. Man weiß, dass warme freudige Emotionen nur noch in der Erinnerung der Kindheits- oder Jugendtage existieren. Und für einen kurzen Moment erklimmt der Wunsch danach, bei dem Anblick dieselbe Begeisterung wie damals spüren zu können. Fast schon beginnende Sehnsucht nach dem Jetzterleben der winterlichen Weihnachtsausgelassenheit. Man fragt sich, warum und wie man so stumpf wurde. Beginnt an sich zu zweifeln. Beginnt sich in Frage zu stellen. Doch bevor im Geist die Antwort nach dem Grund für die gewachsene Antipathie entsteht, wird man von einem Deppen mit Weihnachtsmütze angerempelt, der seinen leeregesaugten Milchshakebecher in dem Schneematsch wirft. Und plötzlich ist man dankbar. Denn so, wie der Becher in dem Matsch aufklatsche, so durchbrach plötzlich die Gewissheit den zähen Nebel des Zweifels. Welcher sich wieder von einem wegrichtete…
Eine wunderschöne Momentaufnahme mit melancholischen Rückblicken, Reflexion, Sehnsucht, Realität und subtilem Humor. Einer der besten Texte, die ich seit langem gelesen habe. Ja, warum wurde man so stumpf? Das frage ich mich auch oft. „Mit dem Wissen wächst der Zweifel“ ist sicher ein Teil der Antwort.
Der Autor dankt vielmals.
Warum wurde man so stumpf? …Je mehr ich darüber nachdenke, umso weniger kann ich die Antwort präzisieren. Ist dieses doch aus einem Prozess entstanden, der aktiv und langjährig in der Mentalität reifte. Aber auch von außerhalb passiv die einst so naive Weltanschauung gelenkt hatten.
Im Grunde mag ich Weihnachten. Zumindest den nicht religiös bezogenen Gedanken darin. Die Atmosphäre des Winters und die Geborgenheit der langen Nächte.
Aber seitdem ich erkannte, dass die Ähnlichkeit des Weihnachtsmannes mit dem diverser Familienmitglieder kein Zufall ist und seitdem der Spieltrieb im / mit dem Schnee dahinschmolz, wurden diese Tage immer nüchternen. Die Dunkelheit hielt nur noch das dumpfe Wesen des Lichtentzuges bereit und die Atmosphäre des Winters bestand allein noch aus dem Beißen der Kälte. Die Tage begannen sich unbeliebt zu machen. Vor allem, wenn man sich nicht mehr von den Lichtern blenden lässt und nicht davor zurückschreckt, auch die dunklen Silhouetten in den Schattenecken zu betrachten. Aber diesem Moment verliert das Fest seine Unschuld und verkommt vor dem inneren Auge mehr und mehr zur Dirne der Hinterhältigkeit.
Womöglich denkt das strikt heitere Gemüt anders darüber. Und auch der Menschenfreund wird noch ehrliche Freude an diesen Tagen sehen. Ich für meinen Teil habe allerdings zufiel anderweitige Erfahrungen im Kopf, die sich besondern zu dieser Zeit uneingeladen mit an den Tisch setzen und mit ihren Bildern die besinnliche Stimmung kippen können.
Somit gebe ich dir Recht, „Mit dem Wissen wächst der Zweifel“ ist auch hierbei ein Teil der Antwort.
Es kommt vielleicht auch drauf an, mit wem man am Tisch sitzt. Wenn man verzweifelt bemüht ist, eine feierliche Stimmung mit erzwungener Besinnlichkeit und Frohsinn aufzubauen, obwohl man auf das Tamtam und die Leute keine Lust hat, wird das Ganze zur Farce. Wenn man einfach nur ungezwungen Freunde und Familie besucht und ohne Kitsch und oberflächliches Getue ein paar Stunden gemeinsam verbringt, ist Weihnachten ein netter Anlass für ein Treffen und kann sogar gemütlich werden.
Eine Antwort auf die Stumpfheit kann ich mir auch nicht geben. Ich weiß nur, dass sämtliche Empfindungen mit der Zeit ihre Intensität verloren haben und einer nüchternen Betrachtungsweise gewichen sind. Manchmal vermute ich eine Art Selbstschutz dahinter, aber vielleicht ist das auch normal, wenn man älter wird? Keine Ahnung.
Die feierliche Stimmung, die nur als Schein über Organisationsstress und familiärer Antipathie bröckelt, kenne ich nur noch vom Hörensagen. Denn die Familie schrumpfte mittlerweile zu einem derart kleinen Kern, bei dem man sich schon enorme Mühe geben muss, um dabei eine solche Farce zu inszenieren.
Davon mal abgesehen, ich für meinen Teil fröne keiner greifbaren, materiellen Weihnachtsatmosphäre. Oder wie Lagerfeld so treffend sentimental formulierte: „Es gibt nichts trostloseres als einen Weihnachtsbaum nach den Festtagen.“.
Wenn in meinem Lebensraum irgendwelcher weihnachtlicher Spuk abgehalten wurde, so war das meist fremdverschuldet.
Ich glaube nicht, dass da Selbstschutz und Alter unmittelbar eine Rolle spielen. Alter definitiv nicht. Meine Eltern beispielsweise erheben den Weihnachtsmarkt noch immer zum Zweitwohnsitz. Während ich mir beim notwendigen Durchqueren schon vorkomme wie Klaus Kinski in Disneyland.
Selbstschutz…es ist ja nicht so, dass man sich davor schützen muss. Weil man es nicht erträgt und die Unmengen an Emotionen, Menschen und Lichter auf einen einhämmern. Somit das Panikgefühl wie die einzäunenden Lichterketten grell aufleuchtet und einem den Weg versperrt.
Ich glaube es entsteht in erster Linie aus dem Unverständnis der dahingehenden Freude und Sorglosigkeit. Manche werden dieses in den Tagen wohl ernsthaft erleben. Ich müsste mir dafür eine Maske aufsetzen oder mich recht kostenspielig sedieren. Ich sehe den Weihnachtsmann und erblicke darin allein die Vermarktungsstrategie von CokaCola, die ihm das nun genormte Auftreten gab. Nebenbei, der mitteleuropäische Weihnachtsmann hatte ein grünes Gewandt und kam eigentlich auch nicht so knuddelig großväterlich daher. Ich rieche den Glühwein und denke nur an freiwilligen Konsum von Nervengift. Sehe die Leute, wie sie freudig und erwartungsvoll um die Bude mit dem rotierenden Spanferkel hopsen und denke in tierrechtlichen fast schon militant veganen Schemen. Und frage mich amüsiert, wieviele noch so speckig grinsen würden, wenn ihr Kind dort im eigenen Saft brutzeln würde. Zumindest nachdem ich die Bilder der Massentierproduktion verdrängte.
Womöglich ist Weihnachten kein Fest für Zyniker und Rationalisten. Vielleicht muss man auch die Intention betäuben, allem dahinter seine Logik zu entlocken. Oder einfach sein Konto monatlich wachsen sehen, um sich ebenso in den Trubel und der Seligmachung des Kaufrausches zu stürzen. Oder man muss seinem Instinkt zur Nachwuchszeugnung nachgeben, um sich mittels dieser Bündel geladener Weihnachtseuphorie mitreißen zu lassen…