Crudelitatibus Admonitionis

[…]Ich bin wieder hier; in meinem Revier. War nicht wirklich weg, hab´ mich nur versteckt. Ich rieche den Dreck, ich atme tief und dann bin ich mir sicher, wieder im Leben zu sein.[…]

In meinem Leben. Mit Wiesen so grün und Häschen so weiß. Mit Sonnenschein und Selbstbetrug, der sich einst Optimismus nannte. Zu einer Zeit, in der es sich noch lohnte, der Zuversicht zu glauben. Einer Zeit, in der ein Atemzug Nutzen brachte. In der die Zeit verstrich, um gutmütig abzuwarten. Der Moment verging, um neues zu schaffen.

Die Momente vergehen noch immer. Vergehen sich an der Zeit, wie an einer Hure. Gebrauchen sie zum nacktem Eigennutzen. Zerreißen das Gewand, zerren an ihrer Gestalt, mit aller Penetranz des mächtigeren Geschlechts.
Es wäre egal, würde nicht das eigene Ich dem beiwohnen müssen. Müsste man nicht das Schauspiel bestaunen. Vom Logenplatz des eigenen Lebens aus. Beifall klatschen mit dem Ekel. Mit der Verachtung im Hals einen amüsierten Blick durch das Opernglas werfen. Anstatt dass man einmal genügend Mut besitzt, um die Vorstellung zu verlassen.

Ist es Mut oder Dummheit, wenn man sich ans Leben klammert. Oder eher Pflichtbewusstsein. Denn was hat man schon zu verlieren. Außer den Gewinn an Enttäuschung derer, denen man doch noch etwas bedeutet. Die einen mit Namen kennen und nicht nur als lachhafte Rentenversicherungsnummer oder zynischem Aktenvermerk einer Bedarfsgemeinschaft.
Oder als Akteur in der Berufspädagogik. Jemand, der munter vor der Klasse grinst. Seine Rolle spielt und mit Leichtigkeit heitere Witzchen reißt. Dessen Grinsen im Rampenlicht niemals gerade gerückt zu werden braucht. Auch wenn jenes Grinsen gefriert, sowie es in den Schatten tritt.

„Grau in Grau der Tag beginnt; in Grautönen zur Nacht zerrinnt.“

Unkommentiert nahm man in der Loge Platz. Wurde man auch ungefragt geboren, so entschied man sich im schweigenden Einvernehmen doch für das Leben. Starb nicht ab. Weder als Embryo, noch als Fötus. Nicht einmal als Säugling oder Kleinkind, auch wenn einem sich da schon mehr Möglichkeiten geboten hatten.
Und man ein Gefühl für die Zweckmäßigkeit der Dinge entwickelte. Auch für die Zerstörung und wenn es nur die eigene ist. Doch man wollte es wissen. Wollte sehen, wie sich das Gold der Kindheit zu dem Stroh der Jugend spinnt. Und dann mit der Scheiße des Hier, Jetzt und jüngsten Damals zu garstigem Mist verfault. Wollte man doch der Reaktion beiwohnen. Und steht nun davor. Abgestumpft von der Dauer des Niedergangs. Und abgeklärt von der Langeweile der eigenen Existenz.

Als Voyeur das eigene Leben begaffen. Als Masochist sich an der Erinnerung laben. Deren scharfe Kanten tiefe Wunden in die Lebensader schneiden. Als Sadist die eigene Zukunft ableiten und von der damit verdienten Qual gerne etwas abgeben.
An all jene die Fragen. Die es Wissen wollen. Um das Elende, dass ihnen dann vor die Füße gespukt wird, mit dem eigenen Leben abzugleichen. Einzig für die wohlschmeckende Gewissheit, dass deren Existenz verglichen damit wieder heller strahlt…

Doch was beschwere ich mich. Die Pflicht hält einen am Leben. Der letzte Nerv, der noch zuckt. Sich windet wie der Wurm unter dem Spatenhieb. Durchtrennt ist das Band von Begeisterung und Leben. Lösgelöst von emotionaler Bandbreite kann man es endlich als das begreifen, was es ist. Ein stumpfer Prozess biochemischer Bedingungen und physikalischer Notwendigkeit. Nicht das ich in dieser Notwendigkeit einen Sinn sehen würde.

„Ich bin der Burattino aus totem Holz, der sich für Pinocchio hält.“

Ich klage erneut. Und das Land straft einen die Klage als Undankbarkeit ab. Siehe her, du Made. Du Wohlstandsverwahrloster der oberen Millionen dieses verschissenen Planeten. Der du die Ermangelung an Existenzangst in Langeweile misst und dich erdreistest im Sozialsystem zu verbittern. Musst nicht hungern, denn Magerquark und Haferflocken sind erschwinglich. Musst nicht bangen, denn keiner Kugel Gnaden würde einen erlösen.
Ich Undankbarer. Die Zähne, einst von überzuckerten Energiedrinks, zum Durchstehen des Studiums, und vom »Low-Budget-Veganismus« gezeichnet, faulen nicht, sondern wurden renoviert. Für zehn mickrige Euro im Quartal. Kein Krebs frisst im Körper, die Klimmzüge im Sturmbandgriff funktionieren auch mit 100Kilo Zuglast. Die Heizung neben mir könnte ich anschalten, wenn die Kältereaktion auf der Haut nicht ein so sicherer Garant dafür wäre, dass es doch noch eine ehrliche gefühlte Reaktionen gibt.
Der Monitor ist flacher als meine Abschlussarbeit. Und obendrein kann man sich jeden Abend durch kostenlose Weiberfleisch-Websites klicken, ohne die Todesstrafe befürchten zu müssen. Kann Adam bestaunen, mit einem Schwanz so dick wie meine Oberarme und dutzende Evas, die so prall und künstlich daher kommen, dass einem jede Lust verginge. Wenn man diese überhaupt noch besitzen würde.

Somit beschwere dich nicht, Widerling. Wäre Freud nicht längst schon selig verrottet, ich würde ihn fragen, wie gut es einem im Leben geht, wenn selbst der Drang nach den fundamentalen Untrieb verglimmt. Masturbato ergo sum; ich wichse also bin ich. Eine zeitgemäße Angleichung an Descartes Leitsatz. Sollte man doch das Denken nicht mehr als Bürge für das Leben darstellen. Oder wie viel Fiktion steckt im Zombie?
Doch so oder so bin ich nicht; auch wenn ich denke. Unentwegt, ununterbrochen. Da selbst das Denken zu undankbar geworden ist. Der rein provozierenden Destruktivität entwachsen, verbündeten sich die eigenen Gedanken gegen einen. Nicht mit hohlen Phrasen, sondern mit der gefährlich wirkungsvollen Macht gelassener Argumentation und Logik. Mein Geist belästigt mich oder rede ich gar mit mir selbst. Führe ich Selbstgespräche und habe mir doch nicht mehr zu sagen?

Wurde ich doch zur Motivation ausgebildet, um damit dagegen immun zu sein. Ressistent. Und die Motivationsreden der anderen erscheinen wie scheinheiliges Geschwätz. Wie farbenfroh sich die Worte bilden, wenn man selbst in Pastelltönen lebt. Die Bahn des Lebens einem eleganten Pinselstrich gleicht, welcher das Triptychon füllt. In harmonischer Eintracht des Damals zu Hier und Bald. Mit Farben so dick, satt und leuchtend.

Wie schwer fällt es bei diesem Anblick denn, sich in den Rausch des Lebensmutes zu argumentieren…

Der Mut wird müde. Das Entzücken der anderen erzürnt und der Versuch des Frohlockens endet in Frustration. Emotionen sind verlebt. Mimik ist Maske und Gestik gegenstandslos. Sedierung um sich vor der Verbitterung zu schützen. Nichts hilft besser, als gewollte Ignoranz der Frage: Dann wurde zuletzt ehrlich gelacht. Wann nachhaltig gefreut. Soviel ist Fakt, so wenig Theater. Und nichtmal das kann einen berauschen.
Von seinem Logenplatz erlebt man den Versuch der anderen, dieses beim Akteur zu provozieren. Das Lächeln, die Freude im sorglosen Moment. Ohne Hintergedanken. Und der Akteur reagiert pflichtgemäß.

„Dank an alle, die sich angesprochen fühlen.“

Einstudiert. Ehrlich gemeint und doch an ehrlicher Ehrlichkeit gehindert. Er, der Protagonist. Den man unbeteiligt beobachtet. Sich selbst beobachtet. Mit starrer Mine. Stoisch. Aber die Stoa verfällt, droht einzustürzen. Und mit ihr die Loge…

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