Gothic Friday 2016 – Arbeit adelt

Welchen Beruf übst du aus oder strebst du an?

Ich weiß nicht, wer oder was ich beruflich bin. Natürlich könnte ich das so definieren, wie es der Staat gerne auf der Steuererklärung lesen möchte. Doch als solches habe ich mich noch nie sehen wollen. Aus diesem Grunde ist als meine eigene Berufsbezeichnung nur der verkitschte Begriff »Bildungssöldner« zu lesen. Zumindest dort, wo ich mir diesen Begriffsindividualismus leisten kann.
Doch es passt. Ziemlich gut sogar. Ich bin frei anzuheuern. Von jedem der will. Und besitze dabei den unverschämten Luxus, mir aussuchen zu können, ob ich in diese Dienste treten will oder nicht. Zudem für wie lange und unter welchen Maßstäben. So natürlich die Theorie. In der Praxis würde man in dieser Gegend natürlich nicht lange überleben; wenn man sich dieser Freiheit radikal hingibt. Würde eingehen, da man sich hierzulade über »Soldstufen« glücklich schätzen kann, wofür sich der geneigte Kollege anderer Orts nicht einmal den Honorarvertrag ansehen würde.

Aber dennoch, es ist Freiheit. Und Freiheit ist nun einmal käuflich. Und ich ging dieses Geschäft ein. Und wenn ich nun angeheuert werde, wenn ich dann an die vorderste Front geschickt werde, dann gilt diesem Auftragsgeber meine volle Loyalität. Dann kämpfe ich für das Wissen. Aber auch für nichts mehr. Mit allen Mitteln. Von denen mir am liebsten jene des Guerillakrieges sind. Denn betrachtet man das hiesige Bildungssystem… versteht man dessen Taktik als ein Relikt aus einer Zeit, in der die Gesellschaft noch einen Scheiß über Persönlichkeit, Individualität und Lernpsychologie wusste, dann versteht man, wie sehr es meist der Anarchie bedarf, um für die Jugend dem Lernprozess wieder so etwas wie Leben einzuhauchen. Oder dafür zumindest alles zu versuchen…
 
Doch um es kurz zu fassen: Ich bin Privat-Dozent. Unterrichte an einer berufsbildenden Schule Fächer wie Multimedia; inklusive Medienkompetenz und Gamedesign bei den Technischen Assistenten für Informatik. Kommunikationsdesign, Technische Kommunikation und Screendesign bei den Gestaltungstechnischen Assistenten. Doch dahingehend sehe ich mich eher als Wildhüter unseres Mac-Kabinetts. Zudem bin ich in Sachen Medienkompetenz, Bewerbungstraining und Ernährungsberatung anzuheuern. Und, sofern die dahingehenden Prüfungen bestanden werden, baldiger B-Lizenz-Fitnesstrainer. Ja, das wäre die Liste meines »Was zum Henker macht der Typ überhaupt?«.
 
Und wer es etwas genauer wissen will:

 
Und ich hoffe auch, nach den Jahren des Suchens, Probierens und per Anhalte über die Straße des Lebens Ziehens, dass dieses nun eine Route ist, die sich nicht bei der nächsten Dämmerung im Sumpf verläuft. Sondern, die nun solide bis zum Horizont führt. Denn die Beantwortung der Frage nach dem eigenen Lebensweg innerhalb eines Labyrinthes zu finden, kann ja durchaus eine interessante Sache sein. Aber diese noch immer in einem Irrgarten suchen zu müssen, dass macht einzig in den ersten Jahren noch Spaß. Dies ist übrigens auch etwas, dass ich unseren Schülern am ersten Tag sage. Da ich jeden Jahrgang auf´s Neue in Gesichter blicke, die von der Frage gezeichnet sind, ob sie hier denn überhaupt richtig sind. Und gut 1/3 wird sich bald eingestehen können, dass dem nicht so ist…
 
(Wie) Lassen sich Gothic und Beruf verbinden und ist das überhaupt wichtig?

Die Beantwortung der Frage überlasse ich den Gothics. Ich kann nur sagen, dass es nicht wichtig ist. Denn jeder sollte genügend Horizont besitzen, um zu verstehen, dass das kompromisslose Beharren auf die eigene Exzentrik für etliche Spannung sorgt. Hält man diese Spannung aus, dann wird man seinen Weg finden. Vielleicht sogar selbstzufriedener werden, als manch anderer. Ist man sich aber nicht sicher, dann sollte man den Weg gehen, der einem gezeigt wird. Und zwar auch so, wie es der Reiseführer gerne hätte. Auch wenn das dann bedeuten wird, sich von der einen oder anderen Marotte der Äußerlichkeit verabschieden zu dürfen.
Denn das der Mensch nun einmal die Sympathiefrage, in erster Instanz, den Registern der Oberflächlichkeit unterwirft, dürfte nicht das größte Geheimnis sein. Und ist in Sachen Job oder Beruf recht deutlich anhand der Debatte zum Thema »Passbild bei Bewerbungen« zu erkennen.

Natürlich braucht die Kompromissbereitschaft der eigenen Persönlichkeit in diversen Branchen einen langen Atem. Besonders wenn es darin um gewissen Publikumsverkehr geht. Und der Traum so manches Vollgoten nach einer Anstellung als Bestatter, wird nun einmal aufgrund der gesellschaftlichen Definition der Allgemeinnorm platzen. Was man aber auch akzeptieren sollte.
Schließlich sind wir alle erwachsen genug, um einzusehen, dass man ab dem Überschreiten der Grenze, weg vom Standard, auch die Akzeptanz deren einbüßt, die innerhalb dieser Grenzen leben. Und der Goth ist nun einmal nicht der breite Standard. Was diesem nur allzu gut bewusst ist. Sonst wäre der Goth nicht goth.
Natürlich unterliegt es beiden, den Kompromiss zu gehen. Die breite Masse sollte sich endlich ins 21te Jahrhundert begeben und akzeptieren, dass optischer Individualismus nur noch bedingt zu den evolutionären Mechanismen des »Freund-Feind-Bildes« anderer Clans passt. Sowie der optische Zwangsindividualist verstehen sollte, dass seine Schmerzgrenze aller äußerlichen Abnorm immer einer Verschiebung der Wahrnehmung unterliegt. Und das vermeintlich harmlose bei außenstehenden schon gehörig verschreckt.
 

Welche Abstriche nimmst du bei deinem Äußeren im Kauf oder würdest du in Kauf nehmen?

Kompromissbereitschaft gehört dazu. Und als ich mal eine entspannte Runde »Wahrheit oder Pflicht« in eine Unterrichtsstunde einbaute, kam eine ähnliche Frage. Nämlich danach, ob ich für die Arbeit meine Piercings rausnehmen würde. Worauf ich in aller Ehrlichkeit antwortete, dass dieses einzig eine Frage des Honorars wäre. Warum Idealismus heucheln wo keiner ist. Vor allem wenn ich weiß, was bei mir käuflich ist und was nicht. Und das gehört definitiv dazu. Frisur, Blech im Gesicht und Kleidung sind käuflich. Gefällt das einem Auftraggeber nicht und laufe ich deswegen Gefahr, eine relativ zukunftssichere und im Höchstmaß rentable Anstellung zu riskieren, dann weiß ich doch was ich tue. Klar ist es ein Stückweit Persönlichkeit. Aber diese muss man ja nicht unbedingt auf der Arbeit breittreten, wenn man diese damit einzubüßen droht.

Spontan fiel mir in der Stunde auch nur ein Aspekt ein, bei dem ich doch recht radikal wäre. Und bei dem ich wüsste, dass er einen so derben Einschritt in meine Selbstwahrnehmung, meine Persönlichkeit und mein Ich-Bewusstsein darstellen würde, dass ich diesen Kompromiss auf Dauer niemals eingehen werde. Die Rede ist von täglicher Komplettrasur. Und zwar im Gesicht; um es zu präzisieren. Denn seit meinem dreizehnten Lebensjahr kam dieses nur noch einmal vor; und das mehr aus Versehen. Aber dieses Erlebnis möchte ich auf keinen Fall ein zweites Mal.
Warum? Nicht nur, weil ich ohne Bart im Gesicht einfach scheiße aussehe. Ich büße damit sämtliche Persönlichkeit innerhalb der Mimik ein. Fühlte mich schutzlos und als wenn mir damit sämtliche Konturen des Gesichts entgleiten würden.
Zudem kann ich Kerle als Gillettefressen auch nicht ernst nehmen. Wem das gefällt, von mir aus. Wer seiner Männlichkeit dadurch frönen will, dass er sich des markant männlichen verwehrt, meinetwegen. Aber ich für meine Wenigkeit werde einen Teufel tun. Und wohl auch wahnsinnig genug sein, damit eine berufliche Zukunft oder gar Karriere zu verweigern. Denn ganz ehrlich, was nützt schon Karriere, wenn man sich dafür nicht mehr im Spiegel betrachten kann.

Ansonsten? Was interessiert es mich. Was interessiert es mich, ob ich meine Armbänder trage oder nicht. Was interessiert mich die Höhe der Schuhe, was die Farbe der Hose. Es ist schließlich die Arbeit, nicht das Leben. Und wenn ich die Arbeit zum Leben werden lassen wollte und damit die Chance verspiele, eine Arbeit zu finden, die mir überhaupt erst ein Leben ermöglichst… ganz ehrlich, wie blöd und borniert muss man sein.
 
Welche Vorurteile oder Probleme tauchen im Umgang mit Chefs, Kollegen oder Kunden auf?

Auch bei längerem Überlegen fällt mir nicht wirklich viel ein. Weder aus meiner ersten Arbeitsphase innerhalb der Stadtverwaltung, noch bezogen auf andere Arbeitsstätten. Falls es mal Thema eines anderen Monats werden sollte, welche »Freuden« die Äußerlichkeit auf offener Straße besitzt, dann kann ich mit diversen Einträgen in meinen Röntgenpass oder Reparaturkosten an meinem Auto aufwarten, aber im Beruf? Einzig belangloses Unverständnis innerhalb des Milieus der Kleingeister.
 

Grün ja grün sind alle meine Kleider…

 
Zumal sich meine »Anpassung« auch schleichend vollzog. Der Arbeitgeber somit zumeist der Hummer gewesen war, dessen Wasser ich allzu langsam erhitzte. Vor allem, wenn ich an meinen direkten Einstieg ins Arbeitsleben denke. Beim Grünflächenamt. War ich doch während meiner Lehrzeit optisch noch relativ unauffällig gewesen. Natürlich sind die 5-6 Jahre Szene nicht komplett spurlos geblieben. Aber mehr als schwarze Docs, Armyhosen und Bandshirts war noch nicht drin gewesen.
Erst mittels des Lehrlingsgehaltes summierten sich die Ohrringe zu ganzen drei Stück. Wurde aus den Standard-Tretern gelegentlich mal Gladiator-Boots. Die Oberteile zu paramilitärischen Westen für den Sommer und NS-Mänteln für den Winter. Sowie diverse anderer Späße, bei denen ich nun allerdings froh bin, dass sie im Vergessen der Vergangenheit verweilen. Doch wie gesagt, dieses geschah über drei Jahre hinweg, somit fiel dieser Wandel kaum ins Gewicht.
Und in Sachen Kleiderordnung konnte ich mich ohnehin austoben. Denn es gab in der Bau-Truppe keine Uniformität. Da wir als Stadt keine einheitliche Arbeitskleidung zugewiesen bekamen. Seltsamerweise, wenn ich mir heute andere Stadtverwaltungen so anschaue. Arbeitsschutzschuhe und Handschuhe, das war die einzige Einheitlichkeit. Wobei ich ohnehin ganzjährig nur die Winterstiefel getragen hatte, da diese so schön nach Spinger aussahen und ich meine BW-Hose dort reinstopften konnte. Denn das war die einzige Richtlinie: Unsere Kleidung sollten grün sein. Mehr nicht. Und mit grün habe ich ja nun wirklich kein Problem. Vor allem mit Militärgrün. Und die Stadt auch nicht. Grün war Grün. Egal ob brav vom Arbeitsbekleidungskatalog oder in Flecktarn bzw. olivefarben von der Resterrampe des Outdoorshops.

Nach der Ausbildung blieb ich weiter bei der Stadt, wechselte zum Sportamt und war blöd genug von dort aus zur Brunnentechnik zu gehen. In der Tat, dieses war ein Fehler. Zumindest aus Hinsicht des soliden Lebensweges. Aus Hinsicht der Lebenserfahrung war es das Beste, was mir geschehen konnte. Denn ab dem Moment der dortigen Anstellung vergraulte es mich jeden Tag auf´s neue. Bis ich endlich die Konsequenz zog und kündigte. Aber letzten Endes rannte ich auch als Facharbeiter rum wie ich wollte. Wenn auch wieder etwas »radikaler« als zuvor, da ich meine Zivizeit dafür nutzte, um dem Neugewinn an Ich-Bewusstsein auch seine Form zu geben.
 
Isolationstrakt totgeweihter Seelen…
 
Wie es damals noch Mode gewesen war, wollte auch das Kreiswehrersatzamt noch etwas von mir; bevor ich endgültig in das Leben eines Erwachsenen abgeschoben werden konnte. Nämlich die höflich aber bestimmte Bitte, ich möge doch ein Jahr meines Lebens für Vater Staat und den Weltfrieden aufopfern. Eine Ehre, die ich aber schon frühzeitig dankend abgelehnt hatte. Mit irgendwelchen Standardphrasen des ethisch-moralischen Blablabla untermauerte, und damit sinngemäß zum Ausdruck brachte, dass ich kein Bock hatte, mich von irgendwelchen Feldwebeln deshalb anschnauzen zu lassen, weil an meiner Rucksackschnalle noch drei Krümel Dreck klebten. Dafür stehe ich nun einmal zu sehr auf sinnlose Autorität.
Und so wurde ich Zivi. Und wie ich bei dem dazugehörigen Lehrgang lernte, war ich nicht der einzige Verweigerer aus Faulheitsgründen, der privat in BW-Klamotten herumlief, zu Hause Ego-Shooter zockte, aber aus »Gewissensgründen« den Militärdienst verweigerte. Und der sich bei dem Lehrgang in der Kantine darüber amüsierte, dass die Erdkröten, der naheliegenden Kaserne, zu ihrer Wanderung aufbrechen und an uns vorbeimarschieren mussten, während wir noch träge beim Frühstück saßen.

Dieses leitete allerdings die zweite große Phase meines Arbeitslebens ein. In der ich auf einer Station für Anästhesie und Intensivmedizin, oder kurz gesagt: einer I.T.S. gelandet war. Und dort galten in Sachen Aussehen natürlich andere Regeln. Diese Hundertschaft an Armbändern, weiß nicht, ob jemand noch diese dünnen Gummiringe kennt, die man so um 2000 in jedem Gothklamottenschuppen vorfand, musste ab. Da man meine bleiche Haut darunter sehen wollte und es irgendwas mit Hygiene zu tun haben sollte. Zudem war ohnehin jeder Schmuck aus Arbeitsschutzgründen nicht gerne gesehen.
An den Klamotten hingegen störte man sich wie gewohnt kaum. Egal ob mir danach gewesen war, herumzulaufen wie der HJ entsprungen oder wie der letzte Punk, der aus dem Altkleidersack gekippt wurde. Waren dieses Dinge ohnehin im Keller innerhalb meines Spindes unter Verschluss.
Schließlich trug man auf Arbeit doch Kasacktürkis. Und wenn man die Station für Botengänge verließ, wickelte man sich in robengleiches Dunkelgrün. Und wenn ich mich recht erinnerte, so bestand die Ausgehkleidung für die Kantine aus weißer Hose und blauem Oberteil. Welches ich aber nie trug, da ich keine Zeit für solche Späße hatte und die freie Zeit lieber im Aufenthaltsraum verbrachte oder dahingehend verrechnete, damit ich bei diversen Arbeiten einen Gang runter schalten konnte.
Zugeben, diese Kleidung sah scheiße aus. Besonders an Kerlen. Und damals schor ich mich noch nicht ganzkörpermäßig. Mit anderen Worten, aus dem V-Ausschnitt drang der Brustpelz. Und die kurzen Ärmel verdeckten kaum die bleichen Oberarme. Und gaben somit einen fast lächerlichen Kontrast zu den noch arbeitsgebräunte und haarigen Unterarmen. Aber was soll´s, es war eben die Arbeitskleidung und Punkt. Da macht man sich keinen Kopf drüber oder nörgelt wegen gothreligiöser Konflikte.

Zumal der Rest auch, wie gewohnt, egal gewesen war. So trug ich als Schuhe meine alten und auch letzten Doc Martens. Die bis auf die gelbe Naht nach und nach von dem Desinfektionszeug zerfressen wurde, mit denen man dort herumhantierte. Interessierte keinen. Allerdings war man nicht so beglückt darüber, dass ich im letzten Drittel meiner Dienstzeit mit einem Unterlippenpiercing angekommen war. Und sich zudem die Ohrringe häuften. Aber nachdem mir die Schwestern steckten, dass die Leitung nicht einmal darüber bestimmen könne, dass die Ohrringe herausgenommen werden müssen, da alles oberhalb des Halses nichts anginge, wurde es mir das egal.
Wobei das tägliche entfernen damals ein geringeres Problem darstellte als heute. Da es damals normale kleine Ohrringe mit Bügelverschluss gewesen waren. Bei meinen heutigen Segmentringen wäre durch das permanente aufbiegen und zudrücken der Kollateralschaden wohl weitaus größer. Von den geschraubten Piercings gar nicht zu sprechen.

Frisurtechnisch juckte es allerdings keinen. Ob mit 40´er-Jahre-Schnitt, langem Iro oder kurzgeschorenen Streifen. Ob mit Stachelkopf oder selbst nassrasiert auf dem Schädel; etwas, dass ich damals für mich entdeckte… Man verlor darüber kein Wort. Ich war Zivi, die Patienten eh scheintot und jeder auf der Station wussten, dass ich gute Arbeit leiste. Somit wurde es akzeptiert. Einzig wenn ich mal in den Op musste und schon beim ersten Schritt in diese heiligen Hallen den Brodem von medizinisch chirurgischer Eitelkeit entgegengeweht bekam, da durfte ich mir der abfälligen Oberflächlichkeit der Blicke bewusst werden. Aber scheiß drauf, selbst die hiesigen Stationsärzte schworen auf einen. Was interessiert da das Urteil irgendwelcher überheblichen Bonzen von Chirurgen.
 
Arbeit ist scheiße…
 
Danach wurde das Auftreten erneut irrelevant. Was interessierte es als Abiturient. Was als Student. Piercings, Bart und selbst Dreadsversuche schockten da nicht. Als Student sah man eben etwas räudig aus; zumindest innerhalb der Geisteswissenschaften. Das schienen auch die Geldgeber des Nebenjobs gedacht zu haben.

Ab Ende des Zweitstudiums allerdings ruderte ich wieder ein wenig zurück. Die Lebensjahre waren ins Land gezogen und ich wollte einfach nichts mehr riskieren. Hatte keinen Bock darauf, irgendwann zu der Erkenntnis zu gelangen, dass der Grund des Berges an Absagen dadurch provoziert wurde, dass mein Auftreten nicht standesgemäß gewesen war.
Natürlich juckte es Zeitarbeitsfirmen wenig. Denen war nur wichtig, ob man pünktlich vor der Fabrikhalle stand und sein Pensum packte. Doch zum einen stieg in mir irgendwann der Gedanke empor, dass ich dafür nicht hätte studieren brauchen. Auch wenn dennoch mehr die Resignation gesiegt hatte. Zum anderen aber hatte ich nun längst begriffen, dass ich definitiv Theoretiker war und mich in der Praxis, egal wo, nicht sonderlich heimisch fühlte.

Somit wurde das Geld nicht mehr für Haarfarben ausgegeben, sondern zum Frisör geschafft. Womit der Stil »Marke Eigenbau« dem gutbürgerlichen Profischnitt gewichen war. Das Blech im Gesicht blieb natürlich. Doch es kam nichts Neues hinzu. Auch lernte ich, dass Westen, Binder und Anzüge eine recht nette Sachen waren. Bandshirts verschwanden nach und nach und Hemden sowie Poloshirt hielten Einzug. Alles in allem wandelte ich mich zum gemäßigten Schwarz. Was allerdings nicht so viel brachte… außer dass man damit die Sozialämter erfreute.

Back to the roots…

Und Heute? Heute ist mein Auftreten wieder unzensiert. Was ich in dieser Position als wirkliches Privileg ansehe. Privileg für mich, da ich weder um Erlaubnis fragen muss, noch mir bei irgendwelchen Aktionen um die Konsequenzen Sorgen machen brauche. Wenn natürlich auch alles innerhalb des Rahmens der Legitimität.
Und irgendwann hatten mich die meisten Schüler ohnehin in Zivil mitbekommen. Sei es innerhalb der Stadt oder sei es, dass ich außerdienstlich spontan vorbei gekommen war, um etwas zu holen, zu bringen oder noch schnell zu erledigen. Und ab diesem Moment wurde die Arbeitskleidung relativ. Ich trug gelegentlich wieder die verbliebenen Bandshirts. Ließ die Halbschuhe stehen und steckte die Hosen wieder in ordentliches Schuhwerk. Denn da ich dieses seit Jahrzehnten nicht gewohnt gewesen war, kam ich mir bei Anblick der schlackernden Hosenbeine immer so verdammt liederlich vor.
Mittlerweile stockte ich die Piercings auf und erinnerte mittels recht gut sichtbar platzierter Tattoos an die bisher unangenehmsten Monate der letzten Zeit. Und nach wie vor: Who cares? Ich bin das Maskottchen, das Hausstier. Bin stubenrein und habe damit auch das Vertrauen gewonnen.

Bin der, der vorgeschoben wird, um damit zu erfreuen, dass es eben nicht nur Lehrkörper gibt, die mit Fönfrisur und Pullunder selig grinsend die reinste Harmonie versprühen. Sondern bin derjenige, der über Authentizität Sympathie zu sammeln vermag. Der im Unterricht Flucht, sich mit den Schülern jenseits des Generationskonfliktes unterhält. Sie wegen ihres Musikgeschmackes »mobbt«, im Unterricht Kaugummi kaut oder mit den Füßen auf dem Tisch wartet, bis der letzte seine Klausur abgibt. Und der damit den Schülern zeigt, dass es durchaus noch welche gibt, die ihre Wurzeln leben und die zeigen, dass sie nicht anders sind, nur weil ihnen ein paar Jahre Lebenserfahrung fehlen.
Und ich schätze diesen Luxus. Erachte ihn als nicht selbstverständlich. Luxus für mich, da ich mich definieren kann wie ich will. Ein Aspekt, der mir gerade in den Momenten der Schwäche schon oft genug den Arsch gerettet hat.
Und wohl Luxus für die Schule. Da man als Lehrbeauftragter hinter dem Lehrertisch der Sympathieträger ist. Wird der Typ mit Klassenbuch in der Hand nicht angenommen, legt sich der Ruf auf die Schule. Kann man aber überzeugen, dann weiß man, dass auch andere Nachfolgen werden.
 
Und so bleibt man Underdog unter Rassehunden mit erlauchtem Stammbaum. Bleibt der, der mehr Anarchie an den Tag legt, als so manche Schüler. Ob das allerdings szeneprovoziert ist… Vielleicht ja, vielleicht nein. Mir fehlt der Vergleich mit einem Alter Ego. Es ist jedenfalls Summe aller Komponenten. Und schon alleine dadurch fällt dieses unweigerlich mit hinein.

5 Gedanken zu „Gothic Friday 2016 – Arbeit adelt

  1. Sehr genial ge- und beschrieben … Danke Dir für den Einblick in Deinen beruflichen Werdegang. Ich kann gut nachvollziehen das Du Deinen „Luxus“ nicht nur geniesst sondern Dir auch bewahrst.
    Verräst Du mir noch was eine B-Lizenz ist?

  2. Um offiziell als Trainer in einem Studio arbeiten zu können, bedarf es eines gewissen Wissensstandards. Anatomie, Trainingskonzepte, Kundenberatung, Trainingsplanerstellung, ect. Dieses Wissen erwirbt man, neben der eigenen Erfahrung in den Bereichen, in Lehrgängen und bestätigt bzw. zertifiziert es über Prüfungen. Die B-Lizenz stellt dahingehend quasi das Basiswissen dar. Bildet das Fundament, um als Fitnesstrainer arbeiten zu können.

  3. Danke Dir für die Info :) Und danach könnte man den Trainer Lehrgang machen, also eine A-Lizenz?
    Willst Du zusätzlich als Trainer arbeiten?

  4. Die A-Lizenz ist etwas umfangreicher. Um diese erhalten zu können braucht man den Fitnesstrainer B-Lizenz, Ernährungstrainer B-Lizenz, Trainer für Cardiofitness, Trainer für gerätegestütztes Krafttraining, Gesundheitstrainer, Trainer für Sportrehabilitation sowie den Body-Trainer im Leistungssport. Alles gesonderte Lizenzen und Abschlüsse. Und wenn man diese besitzt, dann kann man sich für die A-Lizenz anmelden.

    Trainer ist man schon mit der B-Lizenz, nur eben auf unterem Niveau. Fakt ist, dass ich noch in Richtung Ernährung gehen werde. Quasi dahingehend die B-Lizenz. Und dann mal schauen wie es weiter geht.

    „Wollen“ ist relativ. Mir mangelt es an Alternativen. Und etwas muss ich zusätzlich machen, da ich nicht annährend Vollzeit unterrichte und langsam keinen Bock mehr darauf habe, einkommensmäßig im Existenzminimum herumzukrauchen.

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