ch glaube nicht mehr, dass es der Gott der Herrlichkeit ist […] auch nicht der Gott der Freude […] vielleicht nicht einmal der Gott der Barmherzigkeit. Gott ist ein lauter Nichts. Ihn rührt kein Nun, noch Hier.
…die Rose von einst steht nur noch als Name. Uns bleiben nur nackte Namen.
So entwarf Umberto Ego die letzten Worte in seinem »Der Namen der Rose« Und auch wenn diese allzu trefflich diesen Roman abschließen und einen wieder in das Jetzt überleiten lassen, so kann ich mit diesen ebenso sicher die Aktivität der letzten Tage abstecken.
Zumindest die Aktivität innerhalb der letzten Tage. Waren diese doch keiner Pauschalproduktivität unterworfen. Sondern eher innerhalb der Geiselhaft unschöner Gedanken, deren Knechtschaft mir so unsagbar auf die Substanz geht.
Natürlich wirkt es nicht allzu durchdacht, wenn man die Flucht vor dem Pesthauch im Kopf auf dem Friedhof sucht. Auch wenn man dagegen hält, dass sich Trübsaal und Unmut am besten bekämpfen lassen, indem man von denen umgeben ist die schon alles verloren. Und einen als Asche oder Humus die Freude am Atemzug gönnen.
Anstatt dass man sich ins urbane Affengehege setzt. Allen bei ihrem Geschrei zuhört, das nur dazu dient, alle anderen zu übertönen. Zumal es dabei auch weniger aufbaut, wenn man all die Type beobachten muss, denen noch die Sprossen der Karriereleiter im Hintern stecken. Die für eine Hose das ausgeben, was man selbst in drei Wochen verfressen darf und ihre Gespielinnen in Parfümerieprodukten nebeln lassen, die mehr abverlangen, als meine Monatsspesen die letzten zehn Jahre hergaben.
Auch unterliegt diese Wanderschaft einem rein pragmatischen Nutzen. Der noch immer die Einarbeitung mit der Kamera beinhaltet. Denn wenn die Gehässigkeit der Gedanken jede Tat zum dazugehörigen Willen meuchelt, so besitzt man zumindest noch genügend Geist, um einen Auslöser zu drücken und Werte zu verstellen.
Zumal ich nicht zulasse, dass man auf Dauer von der Apathie umnebelt wird. Ich dulde keine derartige Schwäche in meinem Wesen. Und dieses noch weniger als Resultat des Nichts.
Der Vorteil urbaner Menschendeponien sind deren üppige Begräbnisparks. Reich an Vegetation sowie Architektur. Und durchzogen von einer gewissen Grundfotogenität. Wobei es mir recht gleich ist, dass es sich hierbei um Gräber handelt, deren Ablichtung man nun wieder etwas zutiefst »gothlikes« unterstellen könnte.
Würde in diesem Großraumkaff wert auf spannende und ebenso ausladende Parklandschaften gelegt werden und wären diese für den Normalbürger ebenso unbeliebt als Reiseziel, so würde ich diese ebenso ansteuern.
Doch im Park wird man mit der Ausgelassenheit drangsaliert. Fern jeder Andacht und Ruhe eines Gottesackers. Ebenso vermindert der Park das Vorhandensein von in Stein gehauenem. Somit ist der Friedhofsbesuch einfach nur eine Frage des Zusammenspiels und recht, wer sich gerne mit neudeutschen Sprachtum schmücken möchte, misanthropenlike.
Man stapft stundenlang durch den Bestattungspark. Nur gelegentlich huscht ein Mensch über einen fernen Weg. Oder kniet schweigend vor einem Stein. All der viele Platz, dem glücklicherweise nur geringfügige Verschwendung an den Menschen widerfährt. Allerhöchstens an seiner Hülle. Oder dem, was davon übrig ist.
Man riecht keine fettigen Fritten, angesengte Bratwürste oder Abgase, sondern allein den schweren waldigen Duft von Koniferen sowie den erdigen Geruch von Rindenmulch und Blumen.
Man hört keine lärmende Ausgelassenheit, sondern allerhöchstens das feixende Krächzen der Krähen oder melancholische Singen stimmenbegabteren Federviehs.
Alles in allem ist man umgeben von dem einzigen, was von uns bleiben wird: den Namen. Wenn auch nur für kurze Zeit, welches die Aufkleber der abgelaufenen Nutzungsfrist so pietätvoll mitteilen. Oder man ist von denen umgeben, die nicht einmal mehr das hinterlassen haben und unter der Bezeichnung »Urnengemeinschaft 2010« verscharrt wurden.
Und man ist umgeben von Liebe und Zuneigung. Von Verklärung der Situation und unangefochtener Huldigung des Menschen. Denn egal wieviele zankende Paare mir in der Stadt mit ihren Gesten und Worten auf die Nerven gehen. Egal wieviele mit ihrer Mimik die momentane Verachtung ihres Gegenübers verraten. Auf den Gräbern werden alle unvergessen, geliebt und vermisst.
Der kalte Stein wird zum Träger warmer Herzlichkeit. Und trägt dieses mit einer Beständigkeit, wie sie im vorhergehenden Leben nie der Fall gewesen sein konnte. Ist man dafür doch zu sehr Mensch…
Schöne Beitrag, wunderbare Bilder. Das „Einschießen“ mit der Kamera ist dir definitiv gelungen.
Der Vorteil urbaner Menschendeponien sind deren üppige Begräbnisparks.
Das stimmt. Vllt. werden es irgendwann die einzigen Parks und Grünoasen sein, die es in den „Menschendeponien“ noch gibt. Mir kommt es auf Friedhöfen immer so vor, als wäre die Zeit stehen geblieben. Alles ist irgendwie im Lot, ausgeglichen, für mich ist es perfekt. Friefhöfe ersetzen für mich Wellness – für die Seele.
Und ich schaue mir auch oft die Namen an, die Jahresangaben auf den Grabsteinen und lasse die Gedanken schweifen… Ja, es ist das einzige was bleibt. Es sei denn, es hängt ein Bild am Grabstein, was ich meist sehr schön finde.
[…]Vllt. werden es irgendwann die einzigen Parks und Grünoasen sein, die es in den “Menschendeponien” noch gibt.[…]
So wie McDonalds in manchen Vierteln amerikanischer Großstätte die einzigen Spielplätze stellt, so werden dann auch Parkanlagen einem Konzern als Kundenmagnet dienen. Somit braucht man sich dahingehend keine Sorgen machen.
Friedhöfe besitzen eine erstaunliche Ruhe, selbst wenn diese inmitten des Stadtbildes liegen. Zumindest die Altehrwürdigen, deren ausladenden Bäume den Lärm schlucken können.
Bei meinem kurzen Studenten-Intermezzo als Friedhofsgärtner hab ich ausschließlich auf solchen modernen Steinsteppen gearbeitet und kann diese nur mit »unästhetisch« definieren. Kein Baum, kein höherer Strauch, kein Schatten. Nur Erdberg an Erdberg und Stein in Reih und Glied. Diese Art von zweckgebundenem Strebergarten unter den Friedhöfen ist mir zutiefst »suspekt«
»Friedhöfe ersetzen für mich Wellness – für die Seele«
Wellness. Bedingt. Ja und Nein. Ein Zwiespalt. Die Ruhe ist angenehm, die Dominanz der gelassenen Natur. Aber der Stein bedrückt. Gerade in schon unschöner Ausgangsstimmung, die fern jeglicher Erfreulichkeit liegt und Mengen Energie frisst, um morgens gegen sechs überhaupt aus dem Bett und unter die Dusche zu stolpern.
Als Kind hatte ich einmal eine Phase, in er ich keinen Friedhof betreten konnte. Nicht einmal ansehen. Der Bus zur Stadt fuhr immer daran vorbei und ich musste mich immer zum anderen Fenster drehen, sonst hätte mich blanke Panik ergriffen. Innerer Schrecken vor der Endgültigkeit solcher Orte. Heute stört mich das nur noch geringfügig.
Auch wenn einen die Namen und Daten schon innehalten lassen. Die kurzen privaten Einblicken, die in der Phantasie zu Lebensgeschichten werden:
Der Mensch starb an meinem Geburtstag.
Dieser Mensch erlebte nicht einmal den Mauerfall.
Dieser Mensch starb mit 20, 18, 15 Jahren. Ein allzu beschissenes Alter, um zu seinen Ahnen abzutreten.
Dieser Mensch starb 3, 5 Monate, 2 Jahre nach seiner Geburt und die Vorfreude der Eltern wurde mit dem Moment für immer zerstört.
Wie ist es, sein Kind zu begraben? Wie als Witwe, den Mann um 20 Jahre zu überleben.
Dieser Mensch starb drei Tage vor Weihnachten, welch ein Fest. Ewig mit der Erinnerung vermengt.
Dieser starb mit 50. Auch ich werde mal 50 sein. Werde ich dann sterben? Werde ich überhaupt 50 werden?
Das betrachten der Steine ist Kopfkino und jenseits der Wellness. Zumindest bei mir. Es baut Bedrückung auf, Andacht und Demut. Und auch wenn ich für manche wie ein Tourist im schwarzen Armyrock durch die Reihen stapfen. Bepackt mit der Ignoranz des optischen Suchers. So halte ich doch inne, streichle dem Stofftier über dem Kopf, schaue den Bildern in die Augen und errechne die Lebensjahre.
Davon einmal abgesehen. Bilderbeilagen hätte ich auch gerne mit fotografiert. Aber das würde dann der Veröffentlichung des Bildes im Wege stehen. Da genau genommen das Ablichten von Grabstätten nur mit Einverständnis der Angehörigen geschehen…dürfte. Hält sich keine dran, ich weiß. Wenn die Namen verschwinden und kein Bezug entsteht, ist es auch legitim. Aber bei Fotos innerhalb der Fotos sähe das dann schon anders aus.
„…so werden dann auch Parkanlagen einem Konzern als Kundenmagnet dienen.“
Ich bezweifle es ja schon ein bisschen und befürchte, dass sie freie Fläche lieber als Nutzfläche für Lagerhallen und Gewerbekram nutzen. Das ist das, was ich momentan im Westen Deutschlands so kennengelernt habe – in den Städten hier werden die Grünanlagen weggemacht, damit hässliche Firmengebäude oder abscheulicher anderer Kram drauf kommt. Gewerbliche Nutzung. Es muss Geld einbringen. Wir haben hier hinter unserem Wohnblock eine Wiese mit ein paar kleinen Obstbäumen und Sträuchern drauf. Die wird nicht bewirtschaftet (also nich gemäht und so), keiner kümmert sich um die, eigentlich gehört sie der evangelischen Gemeinde um die Ecke. Im Sommer wimmelt es vor Schmetterlingen dort, die Katzen streifen hindurch, Leute führen Hunde Gassi und an heißen Sommerabenden ist die Wiese die einzige, die etwas kühle Luft auf den Balkom fächelt. Die Kirchengemeinde hat kein Geld und keine Idee, was mit der Wiese geschehen soll. Die Stadt Mainz will unbedingt schon seit Jahren, dass dieser kleine grüne Fleck (vllt. grad so groß wie ein Fussballfeld) unbedingt Geld einbringt, genutzt wird. Die Stadt hat es nun nach 30 Jahren der Kirche endlich abgekauft und jetzt wollen auf die Wiese Hasenkisten-Wohnungen setzen. Nicht nur, dass mein geliebtes bisschen Grün in dieser blöden Stadt dann weg ist, nein, es wird dann so eng, dass ich den Nachbarn abends die Butter von meinem Balkon rüberreichen kann, falls sie ihnen ausgeht. Nun, wir sind in Einspruch gegangen, haben über 100 Unterschriften in der Nachbarschaft gesammelt – seit 1,5 Jahren ist jetzt Ruhe, denn sie suchen einen Bauträger. Ich hoffe sie finden nie einen. Der Stadt Mainz ist Grünfläche egal (was man dem Stadtbild auch ansieht). Die will nur Geld machen – Geld um das neue Fussballstadion und was weiß ich nicht noch alles zu finanzieren. Darüber könnte ich mich in Rage reden. Solche Probleme kennt man in Leipzig und in vielen Ostregionen nicht. Aber hier ist einfach zu stark besiedelt.
Es werden nur die großen Konzerne sein, die Parks bauen. Da hätte ich ja noch nicht mal was dagegen. Früher im Sozialismus hat es der Staat gebaut, damit sich das Proletariat erholen kann. Heute oder künftig (heute sehe ich das nicht!) im Zuge der Nachhaltigkeitsfloskeleien sind es dann eben die Konzerne, die was für die Menschen tun. Oder es sind sponsored parks. Mir auch egal.
Aber ein Park macht noch lange keinen Friedhof. Und „Strebergärten-Friedhöfe“ auch noch lange keinen Park.
Diese Steinacker mag ich auch nicht.
„Das Betrachten der Steine ist Kopfkino und jenseits der Wellness.“
Mein Wellness-Gefühl kann ich auch nur schwer erklären. Es ist natürlich irgendwie ein doofes Wort – vllt. umschreibe ich es besser mit „Entspannung und tiefinnerliche Zufriedenheit“. Das habe ich auf einem Friedhof: die Ruhe, die Natur, kleine Tiere, Verwittertes, Blumen, Grabschmuck, Grabsteine. Es kommt natürlich darauf an, in welcher Verfassung man gerade ist. Meistens zieht mich das, was ich auf den Grabsteinen lese und mir dann dazu vorstelle nicht so tief runter. Es bringt ja auch alles nichts, auch wenn ich es bedaure. Gerade Kinder oder junge Menschen, Grabfelder (seit ich weiß was da auch dahinterstecken kann)… vllt. ist es auch Selbstschutz, dass ich das zwar durchdenke, aber nicht so an mich heranlasse, dass es mich herunterzieht. Dennoch denke ich darüber nach, über manches intensiver und auch das ist irgendwie für mich entspannend und zufriedenstellend. Sich dafür mal die Zeit zu nehmen, Zeit für Contemplation und Zeit in sich zu gehen. Das habe und tue ich auch nicht so oft. Gebe ich zu.
Friedhöfe haben eben eine einzigartige Atmosphäre. Man fühlt sich mit der Natur und den Menschen sehr lebendig verbunden, obwohl sie tot sind und man sie nie gekannt hat.
»Der Stadt Mainz ist Grünfläche egal […] Solche Probleme kennt man in Leipzig und in vielen Ostregionen nicht. Aber hier ist einfach zu stark besiedelt«
Es kommt wirklich auf die Stadt drauf an. Viele besinnen sich noch ihrer Verantwortung gegenüber der Wohnqualität und ihrem Ruf als Stadt. Und solche Städte wie Leipzig oder Köln müssen oder wollen noch im Stadtkern eine gewisse Grundatmosphäre wahren. Wobei ich nun Leipzig auch schon ohne ihre Schminke kenne. Und sich die Grundatmosphäre dabei in Richtung morbide kehrte.
Ostregionen kennen diese Probleme nicht, das ist wohl wahr. Denn sollten diese neue Nutzfläche für eine expandierende Wirtschaft benötigen, so brauchen diese nur den leerstehenden Häuserreihen einen Schubs geben und schon ist wieder allerhand Freiland geschaffen. Vielerorts kann man dafür auch spontan ganze Straßenzüge einebnen, dass würde nicht einmal auffallen.
Allerdings kann ich hier in meiner hassgeliebten Heimatstadt ein ähnliches Phänomen feststellen. Hier werden auch ganz gerne komplexe Parkanlagen gerodet oder Freiflächen auf denen einst über hundertjährige Bäume dicht an dicht standen, dem Erdboden gleich gemacht. Allerdings nicht für die Industrie. Denn die paar Unternehmen, die drollig genug sind hier zu bleiben, haben in dem Industriegebiet eine Menge Platz zum Spielen.
Hier werden nur zwei Arten von Neubauten in das Stadtzentrum gewuchtet: Kaufhäuser und Altersheime bzw. betreutes Wohnen.
Letzteres ist wirklich gewinnbringend. Da man die Stadt im Grunde als Großraum-Altersheim überdachen könnte. Die Kaufhäuser unterliegen allerdings dem Logikfehler der Stadtväter. Denn steigende Kaufmöglichkeit bedeutet nicht unbedingt steigende Kaufmoral bzw. Kaufkraft. Das hätte denen einmal jemand erklären sollen.
Doch egal, wer braucht schon rebellische Natur. Mit lästigem Getier und wild wuchernder Vegetation, die sich einen Dreck um die Statuten des gepflegten Stadtgrüns schert…immerhin kommt bald wieder die Zeit, bei der man den gutbürgerlichen Ästhetiker mit Giftspritze vor seiner Haustür herumspringen sieht. Und er im Eifer eines Rumpelstilzchens jeden unerwünschten Grashalm killt, der mit zerstörerischer Wucht den Halt der Plastersteindecke bedroht.
»[…]Meistens zieht mich das, was ich auf den Grabsteinen lese und mir dann dazu vorstelle nicht so tief runter. Es bringt ja auch alles nichts, auch wenn ich es bedaure[…]«
Dahingehend war meine Wortwahl etwas fehlleitend, da ich es auch nicht für die anderen bedauere. Ich betrachte die Stein, Bilder, Innschriften genau und mit dem nötigen Respekt. Doch mich ziehen keine dahintersteckende Geschichte stellvertretend für diese Menschen runter. Dass ist mir völlig gleichgültig. Kenne ich die doch nicht.
Das Problem ist nur, dass ich das auf mich projeziere und mir die gnadenlose Erkenntnis der eigenen Endlichkeit spontan gegen den Kopf schlägt. Ein »Was wäre wenn«-Denken. Was, wenn mich selbst noch meine Eltern begraben müssten. Was, wenn ich den Bruder verliere. Was, wenn ich doch mal Kinder haben sollte –nun gut, die Wahrscheinlichkeit zum Plattenmillionär wäre größer- und ich dann einen Stein aussuchen müssten, deren Datum nicht einmal 10 Jahre umfasst…
[…]Es kommt natürlich darauf an, in welcher Verfassung man gerade ist.[…]
Das wird es auch sein. Derartiges spukt mir auch nur im Hirn herum, wenn ich mit der Sinnfrage mal wieder auf Kriegsfuß stehe. Nur hatte ich auch permanent den »Blauen Reiter« im Ohr, das sollte man wohl auch besser unterlassen.
„Wobei ich nun Leipzig auch schon ohne ihre Schminke kenne. Und sich die Grundatmosphäre dabei in Richtung morbide kehrte.“
Nun, morbide ist ja grundsätzlich sehr gut. Und da bietet Leipzig zum Glück noch einige Flächen, die nicht durchsaniert und aufpoliert sind für den geneigten Touristen. Verfallene Industrieanlagen in Plagwitz usw. – ein Paradies für Lost-Places-Fans, was aber immer mehr auch abnimmt. Mich würde interessieren, was dir begegnet ist und was du als negativ festgestellt hast? Ich hatte und habe immer den Eindruck bei Leipzig, dass hier Stadtpolitik und vor allem Stadtplanung – sogar bis in die Außenbezirke – MIT dem Bürger gemacht wird. Die auch stolz auf ihre Stadt sind. Vom Bildermuseum auf dem ehem. Sachsenplatz mal abgesehen…
„immerhin kommt bald wieder die Zeit, bei der man den gutbürgerlichen Ästhetiker mit Giftspritze vor seiner Haustür herumspringen sieht.“
Orrrh, genau – ich find das so fürchterlich und werde solche Menschen nie nie nie verstehen!!! Aber es liegt im Wesen, in der Art, im dem was man als ästhetisch empfindet. Erblich ist das nicht – zum Glück. Meine Eltern sind da nicht ganz solche Hardliner, aber ähnlich veranlagt. Das muss alles weg. Sauber sein. Ätz ätz ätzend!! Nja, entweder man mag es morbide, verwildert, natürlich geschaffen und auch wieder natürlich verfallen oder eben nicht. Dazwischen liegt eine unüberwindbare Mauer oder ein Graben. Je nachdem.
„Das Problem ist nur, dass ich das auf mich projeziere und mir die gnadenlose Erkenntnis der eigenen Endlichkeit spontan gegen den Kopf schlägt.“
Spontan erwischt mich das nicht mehr. Der eigenen Endlichkeit bin ich mir schon lange bewusst, hoffe natürlich, dass ich sie noch lange hinauszögern kann. Aber dennoch derart bewusst, dass ich mir bereits Gedanken über meinen eigenen Grabstein gemacht habe. Ich hätte auch gern eine schöne Statue oder etwas, was man als Goth eben so fotografiert und was einen mit dem Kameraobjektiv oder ohne anzieht, wenn man über den Friedhof läuft. Wovor man stehen bleibt. Was morbide Schönheit ausstrahlt. Aber Statuen sind sehr teuer und Gräber auf 20 Jahre begrenzt. Wenn sie dann nicht von den Nachfahren (an denen es derzeit auch mangelt bei mir) verlängert werden, dann… ja was passiert dann? Wird die Statue platt gemacht? Vllt. weißt du als ehemaliger Friedhofsbetreuer das. Ansonsten wollte ich ernsthaft schon beim Bestatterweblog nachfragen.
Wäre ja schade, wenn Gothics in 50 Jahren mein bis dahin hoffentlich sehr verwittertes Grab nicht mehr besuchen und fotografieren können, falls es in 50 Jahren noch Gothics gibt. Who knows?
Dearest, Du solltest beim Gang über den Friedhof die Ohrstöpsel mal in die Tasche stecken und das Zwitschern der Piepser und das Rauschen der Bäume genießen…
[…]Und da bietet Leipzig zum Glück noch einige Flächen[…]Verfallene Industrieanlagen in Plagwitz usw. […] Mich würde interessieren, was dir begegnet ist und was du als negativ festgestellt hast? […]
In der Tat. Gerade was neben den Bahnschienen in den Randgebieten lauert, gehört diesen Sommer erkundet…zumindest ist es in Planung.
Leipzig gibt sich Mühe, vor allem da man nun die Universitätskirche wieder erheben wollte, die der Abrissbirne der ach so kulturellen Kommielite zum Opfer fiel. Allerdings hätten die dabei lieber jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt. Steht das Ding jetzt eigentlich oder regnet es noch immer durch die nackten Betonpfeiler?
Wobei ich mich immer gefragt habe, was eine Universität eine Kirche braucht. Das wäre ungefähr so, als wenn ein Fitnessstudio ein »Friss soviel du willst«-Bistro integrieren würde.
Aber ich bin ja auch kein Theologe. Hatte ich mich beim Studium doch von meinem Theologiekurs verabschiedet, nachdem ich ermahnt wurde, mich doch –Zitat- redlicher zu äußern.
Was mir negativ auffiel… Es waren nicht die langen Straßenzüge ansich, die einzig und allein von leer stehenden Häusern umrankt wurden. Auch nicht die Tatsache, dass man solche Bilder schon 10 Minuten vom aufpolierten Stadtkern entfernt antreffen konnte. Es war der Umgang damit. Es die Art wie diese verfielen. Taten sie dieses doch auf eine unnatürliche und von Menschenhand heraufbeschwor Weise.
Diese Respektlosigkeit, mit der Hausbesetzer, Vollidioten oder Obdachlose damit umgehen. Diese Zerstörungswut fern allen Anstandes. Dieser Missbrauch solcher Gebäude für die Unterbringung wie Auslebung seiner eigenen Minderwertigkeit. Zumindest deute ich das einmal so. Denn anders kann ich es mir nicht erklären, warum sich in einem solchen Bauwerk nicht einfach nur bewegt bzw. aufgehalten wird, sondern eine Welle der Verwüstung nach sich gezogen werden muss.
Oder andere Viertel deren einzige Dekoration noch auf Unrat bestand. Überquellende Tonnen, Kartons, Säcke, Müll, Abfall, Schrott. Wilde Deponien neben spontanen Entsorgungslagern. Daneben zerstörte Scheiben, aufgebrochene Türen und Schmiererein über dem müden Putz, deren Urheber das Wort »Graffiti« nicht einmal buchstabieren könnten. Natürlich besitzt das auch seinen Reiz und seine Fotogenität. Aber die dabei an den Tag tretende Dominanz menschlicher Vermüllung ekelt mich an.
[…]Orrrh, genau – ich find das so fürchterlich und werde solche Menschen nie nie nie verstehen!!![…]
Das ging auch damals bei GaLa-Bau über mein Verständnis hinweg. Selbst heute schämt sich der Beruf nicht, sich einen grünen Daumen und Naturnähe zu unterstellen. Doch alles, was ich während meiner Ausbildung tat, war Natur zuzupflastern oder in unsinnige Schranken zu verweisen.
[…]Der eigenen Endlichkeit bin ich mir schon lange bewusst, hoffe natürlich, dass ich sie noch lange hinauszögern kann.[…]
Das Bewusstsein zur eigenen Endlichkeit ist allgegenwärtig. Das war es auch schon früher, und mir war es gleich. Doch ich habe keine Lust in einem bzw. diesen Zustand des Zweifels abzutreten. Zu verschwinden, ohne wieder so etwas wie Lebenszufriedenheit zu besitzen.
Je mehr ich von dem Empfinden der Leichtigkeit entfernt bin, und momentan müsste ich zu diesem Zustand wieder einen Marathon laufen, desto mehr beißt das Gefühl der Lebensverschwendung im Nacken. Die banalsten Wünsche bleiben offen. Die einfachsten Träume verschwinden.
Es ist ein ungutes Gefühl, so freudlos abtreten zu können. So nichtssagend. Und sich in der letzten Sekunde vor sich rechtfertigen zu müssen und einzusehen, dass man die einzige Chance verspielt hat.
Das ist es. Der Status Quo, nicht die Endlichkeit ansich. Nicht die Gräber, die Namen. Sondern wohl einfach die andauernde Erörterung des momentanen Selbst, mit roten Zahlen unter dem Strich.
[…]Dearest, Du solltest beim Gang über den Friedhof die Ohrstöpsel mal in die Tasche stecken und das Zwitschern der Piepser und das Rauschen der Bäume genießen…[…]
Dem ist auch so. Die Musik liegt im Hintergrund und die Geräuschkulisse bleibt wahrnehmbar. Sonst könnte gar nicht deren Atmosphäre einfangen.
Nur im Stadtkern und öffentlichen Verkehrsmitteln dient der Stöpsel als hermetische Abriegelung.
[…]Wenn sie dann nicht von den Nachfahren (an denen es derzeit auch mangelt bei mir) verlängert werden, dann… ja was passiert dann? Wird die Statue platt gemacht?[…]
Ich schätze mal, dass das durchaus von Region zu Region und von Kommune zu Kommune anders geregelt werden kann. Aber meines Wissens liegen in regional strategischen platzierten Punkten Schutthalten. Splittersteinhaufen mit Namensfragmenten, Bilderpuzzeln und Datensplittern. Einfach mal drauf achten.
Alte Steine werden zertrümmernd und gehen zum Straßenbau. Als Unterfütterung und Frostschutz. Quasi das Geröll und Gerumpel, dass ganz unten unter der Schwarzdecke liegt. Nicht der pietätvolle Mehrwert, aber definitiv ein allzu ökonomischer.
Ich weiß allerdings nicht, ob ein Sarg nach Ablauf des Nutzungsrechts wieder ausgebuddelt wird, oder einfach nur eingestampft und der nächste dann draufgeschmissen.
Glaube man macht sich die Arbeit des Ausgrabens erst nach drei oder vier Lagen. Was aufgrund der Verwesungsmüdigkeit solcher Böden bestimmt ein recht angenehmer Teil der Arbeit sein wird.
Ich für meinen Teil hatte mir das auch schon überlegt. Da es mit Nachkommen ebenfalls spärlich besetzt ist, zumindest in diesem Familienzweig, kommt einfach nur eine Platte über das Loch. Darauf ein aufgeschlagenes Buch mit der Handschrift und fertig. Dann kann der Efeu machen was er will und die sich erinnerungswillige Gemeinde ebenso.
„Steht das Ding jetzt eigentlich oder regnet es noch immer durch die nackten Betonpfeiler?“
Die Universitätskirche ist meines Wissens noch nicht fertig. Ich muss mal meine Leipziger Leuts fragen, wann das Teil denn supposed to be fertig ist.
Über den Sinn einer Universitätskirche kann man sich schon streiten, aber das war hier nicht das „Motiv“. Sondern eher historische Wiedergutmachungs-Beflissenheit. Ich hab nichts gegen den Bau, sondern bin mal gespannt wie sie das baulich umsetzen.
„Aber die dabei an den Tag tretende Dominanz menschlicher Vermüllung ekelt mich an.“
Zivilisationsdreck also. Was du beschreibst ist etwas, was mir bisher auf meinen nur noch gelegentlichen Besuchen in Leipzig eher entgangen ist. Ich kann dich da gut verstehen jetzt und finde soetwas auch abstoßend und ‚traurig‘.
„…desto mehr beißt das Gefühl der Lebensverschwendung im Nacken.“
Vielleicht bist du einfach zu kritisch mit dir selbst bzw. hast zu hohe Anforderungen? Das ist ja manchmal so ohne dass man es selbst merkt. Und alle anderen denken aber: Wahnsinn, was der Typ alles drauf hat!
Natürlich ist es wichtig, für sich selbst Lebenszufriedenheit zu finden. Die ist nicht immer konstant vorhanden, bei mir jedoch meistens. Ich setze mir kleine Highlights und lebe und freue mich darauf. Dazu muss man erstmal herausfinden, was einem tiefinnerlich gut tut. Bei mir sind das Reisen, Konzerte und Festivals, gute Freunde treffen und dann wieder auch Momente in der Natur, sie bewusst wahrnehmen. Ich will mir selbst Erinnerungen schaffen und Dinge, die ich erfahren habe auch mit anderen teilen (Reisetipps z.B.)
Mir ist klar, dass ich durch diese kleinen Ziele/Dinge nicht in die Geschichte eingehen werde, aber das macht auch nix ;o)
Vllt musst du dir auch mal solche kleineren Ziele setzen, wenn man sie erreicht hat, fühlt man sich gleich viel zufriedener und irgendwann ergibt das ein ganzes Stück mehr Lebenszufriedenheit. Weil man mehr Erfolge hat.
Aber das ist nur meine Meinung als Außenstehende, die dich ja nur ‚virtuell‘ kennt.
Aber ich kann nun auch nachvollziehen, warum bei dir Friedhöfe auch beschwerend oder ‚erdrückend‘ wirken können.
Übrigens bin ich vom Friedhof der Namenlosen auch wirklich – trotz Urlaubsstimmung & Sommer & Sonne – auch ziemlich betroffen davongetrottet. Aber weil es einfach so ergreifend war.
Oh nein!! „Alte Steine werden zertrümmernd und gehen zum Straßenbau. Als Unterfütterung und Frostschutz. Quasi das Geröll und Gerumpel, dass ganz unten unter der Schwarzdecke liegt.“
Das sind ja keine Aussichten und somit auch keine Optionen. Ich werde mal nach Müll-Steinhalten Ausschau halten…da scheint mir ein flachliegender Stein schon tatsächlich die beste Version zu sein.
[…]Die Universitätskirche ist meines Wissens noch nicht fertig[…]eher historische Wiedergutmachungs-Beflissenheit.[…]
Noch immer nicht. Oh Elend. Meine wochentag-tägliche Anwesenheit in Leipzig endete im Sommer 2009 und da dümpelte der Rohbau schon untätig vor sich hin. Sah doch die Planung mal etwas anders aus.
Als Wiedergutmachung, oder zumindest Rekonstruktion alter Kultur, ist das definitiv nicht verkehrt. Haben doch unserer damaligen stalinistischen Ideologen ungefähr soviel kulturellen Sachverstand bewiesen, wie der Österreicher mit Schmierscheitel vor ihnen. Wenn ich bedenke, wieviel alte Bauten dem Erdboden gleich gemacht wurden, so gäbe es da eine Menge wieder gut zu machen.
[…]Ich werde mal nach Müll-Steinhalten Ausschau halten…da scheint mir ein flachliegender Stein schon tatsächlich die beste Version zu sein.[…]
In Sachen Steinhalten aber ruhig auch mal jemanden fragen, der wirklich vom Fach ist. In Mittelhessen erlebte ich es zumindest so. Und wie gesagt, vom wirtschaftlichen Standpunkt her ist das auch als sinnvoll nachzuvollziehen.
Denn historische Friedhöfe werden heute zwar noch erhalten, aber nicht mehr geschaffen. Man wird womöglich in 200 Jahren noch immer das Grab eines Musketiers aus dem 18ten Jahrhundert begrabschen können, aber bestimmt keinen Stein von 1998. Zum einen, da es sich nicht lohnt und zum anderen, weil unser heutiges Sein nur noch auf Kurzweil ausgelegt ist.
[…]Vielleicht bist du einfach zu kritisch mit dir selbst bzw. hast zu hohe Anforderungen?[…]
Sagen wir einmal so. Ich wählte damals ein Verlassen meines bisherigen Weges und bog zu akademischen Gefilden ab. Dieses tat ich, um mich in späteren Jahren zu den Strebenden zählen zu können. Und nicht, um zum Bodensatz der Gesellschaft zu gehören, wie es momentan der Fall ist.
Ich wurde in vielem ausgebildet, von guten Dozenten allerlei Grade. Und davon will ich einfach nur profitieren. Das ist die einzige Anforderung, die ich noch stellen könnte, ohne unverschämt zu wirken.
Diese Kluft zwischen Soll und Haben der eigenen Zielsetzung ist lähmend. Ein Teufelskreislauf der Teilnahmslosigkeit. Wer darin keinen Kampfgeist mehr findet, keinen Grund mehr, für den es sich zu kämpfen lohnt, der entdeckt erst recht keinen Anlass mehr zur Freude.
[…]Aber das ist nur meine Meinung als Außenstehende, die dich ja nur ‘virtuell’ kennt.[…]
Virtuell zu kennen, heißt im Grunde kaum bis gar nicht zu kennen. Genau genommen bin ich nur eine Imagination im Monitor. Entweder statische Bilder, die vorgeben mich aufgezeichnet zu haben. Oder zumeist nur der unpersönliche webgeeichte Font, der die Worte formt. Und die wiederum so lange hin und her geschoben werden, bis der Satz allzu künstlich wirkt.
Ein inszeniertes Sein ohne Stimme, Mimik und Gestik. Nun gut, abgesehen von dem holprigen Start zur Panoptikum-Lesung. Doch im Grunde kann aus diesen Reihen nur der Schriftführer von Spontis wirklich bestätigen, dass es mich so ungefähr auch im »wahren Leben« gibt. Irgendwie faszinierend, wenn man einmal darüber nachdenkt…