Kommunizier mir – Teil I

Photobucketgal wie lästig unpassende Konversation ist, man kann und will nicht darauf verzichten. Letzteres zu behaupten wäre zudem nicht nur reine Selbstverarschung, sondern obendrein noch recht unglaubwürdig. Ein jeder, der sich noch dunkel an Schulzeitbiologie erinnern kann, wird bestätigen können, dass der menschliche Wille womöglich einiges vermag, aber er kann nicht die verwurzelten Urinstinkte in unserem Unterbewusstsein brechen. Egal, wie stark man diese Instinkte unter Kontrolle denkt, ausradieren kann man diese nicht. Und der Drang zur Kommunikation ist ein solcher Urinstinkt des Menschen. Wenn nicht mit dem Artgenossen, dann mit dem Hund, dem Blumenstock oder mit sich selbst.
Nun ist die Kommunikation als solche recht fassettenreich und somit in zig Varianten anwendbar. Im verbalen Sektor zum Beispiel als Gespräch, Unterhaltung oder als Plauderei.
Nebenbei gibt es noch die Abrüstvariante, welche immer dort zu beobachten ist, wo entweder auf Krampf das Schweigen gebrochen werden muss, oder jemand seine momentane Maulfaulheit zu verbergen versucht. Dieses führt dann zu so schönen Dialogen, deren Aussagekraft sich vervielfacht hätte, wenn es der Betreffende einfach nur fertig gebracht hätte zu schweigen. So aber ließ man sogar noch ein Informationsvakuum auf die Umwelt los.
Dieses Vakuum wird Smalltalk genannt. Und wie zu vermuten lässt, kann auch nichts Gehaltvolles dahinter stecken. Sonst würde man nicht versuchen, es mit dem modisch englischen Begriffsgewand zu überdecken.
Smalltalk, kurz objektiv gefragt: Was ist das? Von der wörtlichen Übersetzung her bewegt es sich im Rahmen von einer bescheidenen Unterhaltung bis hin zum unnützen Geschwätz. Gegen eine bescheidene Unterhaltung hätte ich ja nichts einwenden. Ungezwungener aber dennoch inhaltslastiger wie zielgerichteter Informationsaustausch. Klingt hochtrabend, trifft aber genau den Punkt, der erklärt, weshalb sich Kommunikation bis heute so unberührt erhalten hat. Gegenüber zum Beispiel dem Drang danach, seine Erbanlagen möglichst großflächig zu verstreuen. Eine instinktive Geste, die mit den Jahren in gewisse Missgunst fiel. Die Kommunikation hielt sich aufgrund des gezielten Informationsaustausches unter Einbezug von niedrigem Aufwand an Zeit und Arbeit am Leben. Allerdings drängt sich da sofort die Frage auf, ob die Kommunikation bzw. Konversation des Smalltalks wirklich als bescheidene Unterhaltung gewertet werden kann. Ob sie somit dem Instinkt zugrunde liegt und nicht in einer Gesellschaft geschaffen wurde, die zwar diese SMS-Stenografie beherrscht, aber nicht mehr fähig ist, einen normalen Brief aufzusetzen. Bescheiden ist der Smalltalk ja, zumindest wenn man dieses Adjektiv als Euphemismus definiert. Aber eine Unterhaltung? Ein »vergnügt, amüsierter Informationsaustausch zum Zeitvertreib«, wie es das Lexikon erklärt? Amüsiert bin ich dabei, aber entgegen allem Vergnügen. Und Zeit braucht man sich nicht zu vertreiben, denn diese besitzt genug Arroganz, um auch ohne des Menschen Handeln zu vergehen.

Nehmen wir einmal die Hochburg des Smalltalks. In dessen Mauern aus binärer Matrix er sich am sichersten fühlt: den Chat. Eine Plattform, die es sogar ermöglicht, innerhalb einer momentan laufenden Unterhaltung über seine Worte und Inhalte nachzudenken, ohne dass es apathisch oder unhöfflich wirkt. Denn beim offenen Gespräch von Angesicht zu Angesicht sollte man sich schon etwas in Mimik schulen und das Gesicht des Gegenübers recht faszinierend finden, um ständige Wartezeiten von 20-30 Sekunden pro Antwort erträglich zu halten. Im Chat kann man das. Wird dieser aber auch genutzt? Laut meiner Beobachtung lautet der erste Satz, der die Konversationsinteresse ankündigt: „Hi, wie geht’s.“. Somit ist die Antwort schon einmal: Nein, es wird nicht genutzt. Natürlich gibt es Unterschiede in der Begrüßungsformel, sei es das Satzzeichen und die grammatikalische Variation bzgl. des „geht´s“. Aber „Wie geht´s“ erscheint mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Oder in einer Zahl ausgedrückt, zu 99%. Abgesehen davon, dass diese Floskel recht großzügig mit dem wörtlichem Sinn der Worte und der Sprachästhetik kollidiert, behaupt ich ganz dreist, dass die deutsche Sprache mehr Möglichkeiten für die Frage nach dem momentanen Gemütszustand zu bieten hat, als jenes plump pseudofreche „Hi, wie geht´s“. Ich gebe zu, dass die meisten einen Chat aus anderer Motivation heraus betreten, als nun über die letzten philosophischen Rätsel der Menschheitsgeschichte zu debattieren. Auch wird dort niemand eine Lobeshymne an die deutsche Interpunktion und überhaupt die Orthografie verfassen und sich noch weniger dazu veranlasst sehen ganze Essays aufzusetzen. Aber dennoch kann man seine Zeit doch auch dienlicher nutzen.
Wie wäre wohl die Reaktion, wenn man jenes „Hi, wie geht´s.“ nicht als Aufforderung zum ebenso einsilbigen Antworten sieht, sondern wirklich das erfragte Befinden des Tages offen darlegt. Würde das zum gekonnten Einstieg in ein Gespräch führen? Mitnichten. Es ist naiv zu denken, dass darauf eine ebenso ausführliche Antwort folgt. Man ist eher den potenziellen Gesprächspartner wieder los. Welches womöglich auch an dem Thema liegen könnte, aber es liegt definitiv daran, dass tiefsinnige Konversation abschreckt. Derjenige will einfach nur lesen: „gut“, „schlecht“ oder für die Sprachbegabten: „geht so“. Dann weiß er: „Aha, ich wurde als Gesprächspartner anerkannt und kann anfangen Trivialitäten abzusondern.“. Denn würde man sich wirklich für das Befinden interessieren, so würde man es anders zu formulieren wissen und zudem anders auf die vorhin beschriebene Antwortmöglichkeit reagieren. Aber was sind das für Antworten? Gut, schlecht, geht so, gestern ging´s noch. Das ist Geräuschübertragung, mehr nicht. Stellen wir und mal den Einstieg in einen solchen Schmalspurtalk vor:

„Hi, wie geht´s.“ – „Gut.“
„Das ist schön.“ – „Ja.“
„…“ – „Und selber?“
„Auch.“ – „Toll.“
„Kalt heute.“ – „Sowieso.“
„Und sonst so?“ – „Mal schauen.“

Unterhaltungen, die dazu tendieren so zu beginnen, will ich erst gar nicht in ihrem eigentlichen Verlauf kennenlernen. Ist das vergnügt oder amüsiert? Ist das Informationsaustausch? Da höre ich lieber einem Hinterwäldler zu, dessen Artikulation sich auf Rülpser, Flüche und Brunftschreie begrenz. Aber da finde ich wenigstens noch Sprachmelodie. Aber Smalltalk, unter gutmütigen Voraussetzungen ist dieses noch immer fahrlässige Zeitnutzverletzung mit Todesfolge. Wer sich in Gesellschaft also dazu genötigt sieht, weil er im Moment nichts zu sagen hat, sich aber fürchtet eine unbeschriebene Höfflichkeitsklausel zu brechen, dem sei gesagt: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«

Ein Gedanke zu „Kommunizier mir – Teil I

  1. Smalltalk ist doch wirklich notwendig. Gäbe es keinen Smalltalk würde ich 99% der Menschheit notorisch anschweigen und meinen Kater als Gesprächspartner bevorzugen. Ein „Mau“ oder auch schlicht ein paar ungebändigte Flatulenzen sind meistens doch erträglicher und tiefgründiger als das, was der berüchtigte Springer-Fanclub so von sich gibt.

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