Misanthrop, ich

Photobucketin geflügeltes und ewig heutiges Wort innerhalb dieser Szene ist das des Misanthropen. Ein Begriff mit dem sich so mancher zu schmücken gedenkt, der im postpubertären Eifer: »Ich hasse alle Menschen« zu verlauten vermag.

Und sich dabei, fröhlich grinsend, seiner geistigen Überlegenheit gegenüber des Gleichschaltungspöbels erfreut. Grob betrachtet ist dieses recht schön und eifrig gedacht. Aber wenn man sich einmal ein paar viertel Minuten Zeit zur Hinterfragung nimmt, so entpuppt sich das als ebensolcher Blödsinn, wie sämtliche andere Thesen der plumpen Anfeindung und des Halbstarkengetues.

So kann man beispielsweise nüchtern betrachtet fragen, ob man, nur weil man der Menschheit im gesamten eher negativ eingestellt ist, jeden einzelnen Menschen hassen könnte. Sich eingeschlossen und jeden der genug Sympathie genießt, um diesem Geschwätz ausgeliefert zu werden. Klare Antwort: Nein. Das ist schon rein biologisch nicht im menschlichen Denken vorgesehen. Zudem hätte man für die Gegenargumentation noch die Logik der Mathematik auf seiner Seite.

Ein »Alle«, somit 100%, ist zwar in der Theorie und dem abstrakten Denken durchaus anzutreffen -wie die 147% sozialistische Planerfüllung- aber nimmt man die 100% nicht als Richtwert für Schnittmengen, sondern als allumfassende Gesamtheit an, so enthebelt man die Gesetze der Natur. Ein 100% von allem gibt es nicht. Nicht beim Menschen, denn dieser Konsequenz kann sich nur unbewusstes Leben unterziehen. Ergo: unbelebtes. Und die Schreihälse dieser Parolen besitzen noch immer zuviele Faktoren des Lebens, um einem aktiv auf den Keks zu gehen.

Die Menschheit besteht allein aus der Summe ihrer Teile. Und eine negative Summe kann in der Gleichung dennoch vereinzelte positive Summanden beinhalten. Das ist die kompromisslose Logik der Zahlen. Auch wenn man die Menschheit als Gemeingut nur noch mit Abschätzung und Negativemotion betrachten kann, so ist man sich dennoch darüber bewusst, dass so manche Einzelne zeigen können, dass es der Mensch noch wert sein kann.
Das unterscheidet den misanthropischen Gedanken »Ich verachte die Menschheit in seiner Allgemeinheit« von der platten Dummschwätzerei »Ich hasse alle Menschen« Und wem die beiden Sätze von ihrem Inhalt her noch immer gleich klingen, der darf sich ruhig von diesem Artikel trollen und jemanden zu Hilfe holen, der bei Interpretationsaufgaben im Deutschunterricht nicht immer durchfiel.

Aber kurz zurück zum Machtwort: »Ich hasse alle Menschen« Wie anfangs erwähnt, entwickelte sich diese These allmählich zum geflügelten Wort, bzw. zur Standardphrase der Szene. Kurz ein schwarzes Shirt gekauft, die schwarze Hose geliehen, die Ledertreter erbettelt und Omas schwarze Socken geklaut, jene Einstiegsphrase in den Raum genuschelt und schon war man aufgenommen. Oder doch nicht. Ein Klischee? Denn auch wenn die Vertreter hier nicht gerade zu dem kontaktgeilsten Menschenschlag gehören, so ist diese Phrase nicht szene- sondern zumeist altersabhängig.
Somit ist diese Verlautbarung auch in anderen Gruppierungen anzutreffen, in denen sich kurz enttäuschte zu solcher Äußerung hinreißen lassen. Und all jene im (post)pubertären Trauma damit ihren Unmut über die Wirrungen des Lebens in den Äther zu brüllen gedenken. Für das Missverständnis und die gutbürgerlichen Schubfachverfrachtung sorgten ja nicht die Schreihälse selbst, sondern der verschreckte Zuhörer, der diese entrüstet als Misanthropen deutete und weiterhin weiträumig mied. Wie man es mit Jugendlichen auch im Allgemeinen und aufgrund des Vergessens der einen Jugend gerne tut.

Ist diese hohle Halbstarkenparole wirklich ein Indiz für diese geistig fest verankerte Weltanschauung der Misanthropie. Steht dieses wirklich im Erbe von Schopenhauer und Nietzsche. Nicht jeder Querkopf, der mit kurzlebigen Thesen des abgeklärten Menschenschrecks seine Groupies zu beeindrucken und seine »Coolness« zu unterstreichen versucht, ist es würdig damit in Verbindung gebracht zu werden.
Es wird ja auch nicht jeder, der so elegant auf eine Nacktschnecke treten kann, dass ihr die Innereien aus dem Kopf platzen, gleich zum Tierpräparator oder Avantgardekünstler erhoben. Wobei letzteres wahrscheinlich schon, wenn ich da an manche Subjekte selbsternannter Kunst denke –letztes mir bekannte Beispiel hierfür wäre Guillermo Vargas-

»Ich hasse alle Menschen« kann metaphorisch wertvoll sein, wörtlich genommen ist dieses aber zwischen Selbstbetrug und Dummschwätzerei anzusiedeln. Und wenn sich Misanthropie eines verbietet, dann ist es Dummschwätzerei. Denn wie gesagt, diese hochemotionale Pauschalisierung ist schon vom instinktiv menschlichen Wesen her nicht möglich. Zumindest für den rational Denkenden.
Vollzeitsoziopathen könnten dieses zu recht von sich behaupten, sind dann aber ebenfalls vom Misanthropen zu unterscheiden. Der Mensch, egal wieviel Mühe er sich gibt, ist mit klarem Bewusstsein nicht zum allgemeinen Hass fähig. Gewisse Sympathie bis hin zur Liebe und Verehrung liegt in der Natur der Sache. Sonst würde der Mensch im Kreislauf des allgemeinen Naturgesetzes noch weniger funktionieren als es ihm jetzt noch gelingt und derartige Phrasen mit ihren Schöpfern längst ausgestorben sein.
Da es sich bei dem Gesetz um jenes der Erhaltung der Art handelt. Egal welcher gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Sandkastenspielchen sich der Mensch hingibt, das alles ist als Menschheitsgeschaffenes allzu trivial. Im Grund dient er nur seinem Fortbestand, dagegen hilft auch kein Glaube. Somit ist der Mensch zu Sympathie gegenüber Mitmenschen zwanghaft fähig und enthebt damit diese These ohne großen Aufwand mit der Antithese seines Selbst.

Kein gespielter Hass ist der Indikator, sondern die Art und Weise des Umgangs, des aufeinander Zugehens und der Details. Ich hasse nicht alle Menschen, empfinde Sympathie, Freundschaft, Liebe und schaue sogar zu gewissen Persönlichkeiten auf. Warum sollte ich mich also zu solcher Äußerung hinreißen lassen. Dennoch kann ich von mir behaupten Misanthrop zu sein. Nicht um zu protzen, nicht um anzugeben oder mir in der Rolle als Buhmann und Kinderschreck zu gefallen, denn aus dem Alter bin ich raus. Sondern weil es so ist. Weil die Erfahrung, welche sich über die Jahre zur Weltanschauung manifestiert, diese Schlussfolgerung von selbst einläutete.

Es existiert kein Grund dafür, dass man die Menschheit als Allgemeinheit schätzt. Dass man diese achtet und mit Stolz betrachtet. Solang der Mensch es nicht vermag aus seiner Selbstgerechtigkeit auszubrechen, freiwillig die selbstgebastelte Krone der Schöpfung von sich zu werfen und das Zepter des Eigennutzes abzulegen, ist er es nicht Wert beachtet zu werden. Denn in seinem Schaffen wütet er gnadenlos und ohne Reue.
Der Mensch ist kein Parasit mehr, denn dieser erhält den Wirt am Leben. Er wurde längst parasitär. Was tat er, der Mensch, die letzten 5.000 Jahre, was nicht seinem persönlichen Nutzen entsprach. Er erschuf Wüsten, Ozonlöcher, Artensterben, Brandrottung. Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Elektroverschmutzung, Lichtverschmutzung. Gift, Gas und Strahlung in einer Konzentration, welche die Natur erblassen lässt.
Er strebte immer zum Wohle des Volks und des Selbst. Tat er etwas zum Wohle seiner Welt. Die letzten 100 Jahre vielleicht. Weil ein paar Intellektuelle verschreckt bemerkten, wie dem Menschen der Arsch auf Grundeis geht. Während sich selbst heutzutage noch unverhältnismäßig viele darüber freuen, dass sie trotz des eigenen sinkens genug Oberwasser bekommen. Sich in der European Business School besser auskennen als der Hausmeister, aber nicht wissen, wie man eine Karte im Naturkundetheater löst.

Der Mensch ist das Virus, das Krebsgeschwür dieses Planeten. Und jeder, der den Krebs als allzu sympathisch erachtet, darf sich der Philanthropie erfreuen. Ich kann es nicht. Ich blicke aus dem Fenster und sehe Abfall, ich rieche Unrat und höre Lärm. Ich sehe den einzelnen Menschen und durchdringe ihn mit meinen Sinnen nach Eindrücken für Abneigung. Dafür muss ich mir nicht einmal Mühe geben, das geschied unterbewusst.
Die Analyse des Gegenübers fixiert sich auf Gründe der Antipathie. Wenn ich an der Kasse stehe und hinter mir jemand nach Zigaretten grapscht. Dann höre ich sein unkontrolliertes Schmatzen mit dem Mund und sehe angeekelt wie dessen gelben Fingerkuppen nach der Packung greifen. Sehe die selbstverschuldeten Makel im Gesicht, die Trägheit des Körpers und frage mich, wo denn dabei die nötige Ästhetik für Sympathie zu finden sei. Höre sein Geschwätz und den Inhalt, über den er sich ereifert und würde mich freuen, wenn mein Denken sich mit solchen Sorgen füllen würde, denn dann ginge es mir gut.
Oder ich sehe die Jugend, deren heiße Luft in den Köpfen mit dem Gesagten eine harmonische Symbiose eingeht. Wie sie dastehen, ihren »Intimabstand« durch sehnige Spuckflecken abgrenzen. Ich sehe den Menschen, rieche seinen Atem und wittere zumeist den Ekel.

Aber dennoch gelingt es einigen bei mir die Freude zum Kontakt zu wecken. All die Antipathieanalyse zu stoppen und den Eindruck rückgängig zu machen. Oder geht es nur mir so, dass ein Mensch, wenn er mir noch fremd ist, anders aussieht, als wenn man sich später gerne mit diesen abgibt. Es verändert sich ja nicht das Äußere aber die Anschauung lässt die eigentlich real existierten Eindrücke von einst wie ein Zerrbild dastehen.

So mancher Mensch ist es wert geschätzt zu werden. Weshalb man als Misanthrop auch nicht das Arschloch der Gesellschaft markiert. Weshalb man trotz Eremitentum auch in der Gemeinschaft funktionieren kann, zumindest wenn diese sich zu benehmen weiß. Weshalb man dennoch altruistisches Handeln an den Tag legt und weder durch hirnfreie Gewalttätigkeit, sinnleere Arroganz oder unbegründete Aggressivität aus der Rolle fällt und damit seinen Intellekt beleidigt.
Denn der Mensch steht nicht zwangsläufig als pauschales Sinnbild seiner Art da. Der Einzelne ist nicht die Gesellschaft. Und somit wird die vereinzelte Sympathie unter der pauschalen Antipathie durchaus möglich. Der Misanthrop spielt sich ebensowenig als elitärer Egoist auf.
Er stellt sich nicht in die Menschenmenge und wettert als Vollblutquerulant über alles und jeden. Egal welche Meinung, hauptsache dagegen. Gegen alles, gegen jeden und Punkt. Als arrogant und eingebildet wird er nur von jenem tituliert, der sich beschuldigt fühlt und genügend Selbstverliebtheit besitzt um dieses aus seiner Wahrnehmung auszusperren. Zwar mag das jetzt für manch einen doch überheblich und arrogant klingen.
Aber der Misanthrop zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht wie ein naives Dummchen jeden Mist glaubt, den der Onkel dritten Grades erzählt. Sei es der Onkel Staat, Onkel Meinungsmedium, Großonkel Global Player oder sonst wer. Es wird hinterfragt.
Es wird analysiert und darüber nachgedacht, um letztendlich den Entschluss fassen zu können, dass die Skepsis und der Argwohn doch gerechtfertigt waren. Der Misanthrop benutzt mehr seine Vernunft, als seinen Herdetrieb. Denkt mehr mit dem Kopf als mit den Herzen. Das scheint ihn überheblich, kalt und arrogant wirken zu lassen. Aber innerhalb seines Selbst ist dieser einfach nur nachdenklich, zurückgezogen und von Ernüchterung geprägt.
Einer Ernüchterung, die jedem widerfährt, der oder die hinter die Leuchtschrift der Gesellschaft blickt. Diese Gefühlskälte gegenüber den Menschen kann niemand leugnen, der einsah, dass das Leid, welches dem Menschen widerfährt, eine Schürfwunde gegenüber dem Leid, das der Mensch verursacht, darstellt. Sei es gegen sich selbst, was völlig nebensächlich ist. Oder sei es das gegen seine Natur und seine Lebensgrundlage.

Man könnte sagen, dass der Menschenhass das ist, was letztendlich noch das letzte bisschen Menschsein in uns am Leben erhält. So wie man aus der Kirche austreten sollte um ein guter Christ zu sein. So sollte man der Menschheit den Rücken kehren um noch Mensch zu bleiben.
Oder, um es mit den Worte Schopenhauers zu sagen:

A.Schopenhauer hspace=»Eine Gesellschaft Stachelschweine drängt sich, an einem kalten Wintertage, recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln; welches sie dann wieder von einander entfernte.
Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes Übel; so daß sie zwischen beiden Leiden hin und hergeworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung von einander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.
-So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Inneren entsprungen, die Menschen zu einander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträgliche Fehler stoßen sie wieder von einander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höfflichkeit der feinen Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! -Vermöge derselben wird zwar der Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden. –Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.«

[ Bilderquelle: http://de.wikipedia.org]

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