Silvesterkomödie

Photobucketchwindelig wankte er durch die Straßen; gehüllt in einen Mantel des Schweigens. Fernab jedes Glückes oder Freude, obwohl er vom Selbigen umgeben war; so schien es. Menschen, welche ausgelassen das neue Jahr empfangen, obwohl es ihnen nur von neuen Ungewissheit bescherte, zogen stumm an ihm vorüber. Ihnen schenkte er nicht einmal mit einem Blick, oder gar festlichem Lächeln, Beachtung. Ihre lachenden und freudigen Gesichter entzogen sich langsam seiner Wahrnehmung. Wie in Zeitlupe wirkten ihre Bewegungen. Langsam, sachte passte sich das Mimikspiel deren innerer Freude an und formte jene Emotion für die Außenwelt sichtbar. Sie lachten, schwatzen, schrieen, doch nahm er dieses nicht war. Nur die Gebärden der Münder wurden zur Kenntnis genommen.
Restliches verschmolz zu einem lauten und kreischende Brei, voller Stimmen und Explosionen. Es ist erschreckend, was für eine Faszination der Mensch für die Zerstörung hegt. Amüsiert entledigte er sich eines gedienten Sprengkörpers, der seinen Weg kreuzte, indem er diesen in die Dunkelheit trat. Nicht verachtend, aber dennoch mit Unverständnis für derartige traditionellen Gebräuche. In jener Nacht wurde dem Mond mit seinen Gefährten die Monarchie des Himmels verwehrt. Kreischende, pfeifende Raketen, die selbstmörderisch gen Himmel heulten, sprengten mit farbenfrohen Ladungen Risse in das schwarze Gefüge. Um als muffige Schrotthaufen wieder zum Startpunkt zurück zu rasen; theatralisch vom Fall nach dem Hochmut zeugend. Aber all das beeindruckte oder erheiterte ihn nicht. So sehr sie auch riefen, winkten, ihm irgendetwas Gutes wünschten, um sich feuerten und ihren Verstand betäubten; sie kratzten bei ihm nur an der Oberfläche. Seine Gedanken hatte er längst etwas anderem verschrieben. Es gab nur eine Achse um die sie sich drehten. Er sah es vor sich und schaute auf. Doch je höher seine Blicke gelangten, umso blasser wurde das Bild; bis es im Getöse unterging und erlosch. Dort wo gerade des Bildes Antlitz leuchtete, dessen Aura alles im hellen Schein verschluckte, erschien wieder die dunkle Straße, die schattigen Häuser, und Menschen. Menschen, lechzten einer neuen Chance entgegen und heuchelten im Rausch des Alkohols erneut ihre Vorsätze. Anstatt auf jenes zu blicken, das unerfüllt dahinvegetiert. Einzig die Gelegenheit auf nochmalige Verschiebung gewährt bekommt; wenn überhaupt. Mit diesen Gedanken drehte er sich zum Gewimmel zurück. So nah und lebendig es doch war, wurde es mit jedem Schritt mehr und mehr vom nächtlichen Schleier verschlungen. Bis nur noch Rauch und aufblitzendes Knallen wahrzunehmen war. Gefolgt vom fern hallenden Gelächter.
Mit den Gedanken fernab jeglicher Wirklichkeit verschwand er in den Umrissen des Waldes, der düster und stumm vor ihm thronte. Allein der Himmel wurde von grell-bunten Lichtern durchzuckt, schmückte aber zeitgleich all jene Baumkronen im Kontrast. Die Wärme der Stadt lag hinter ihm und seine Stiefel gruben sich in alten verrußten Matsch. Unansehnlich verdreckte Pampe; hatte sie nicht noch vor allzu langer Zeit, als es mit weißen Schimmer vom Himmel fiel, die Augen vieler zum strahlen gebracht. Selbst das Glänzen der Kinderaugen würde bei jenem Anblick nun erlöschen.
Keiner hier, niemand da. Sie alle feiern auf den Straßen, in den Armen ihrer Geliebten…oder allein? Mit Freunden, Familie, dem verängstigten Hund im Arme oder doch schon im Bett; dem Schlaf verfallen? Auf einer Bank hockend, zeigte ihm sein Kopfkino noch einmal sämtliche geliebte Szenen. Begleitet vom Spiel des Feuerwerkes. Die Nacht kam ihm immer düsterer vor, da sein Hirngespinst ihn langsam einwebt. In Mattigkeit begründete Müdigkeit, lästig wie nutzlos, ließ ihn nach vorne kippen. Mürrisch durchstreifte die Kälte seinen Körper. Von weiten sah ein Pärchen einen Menschen auf einer Bank zusammensacken, dachten aber, er hätte in der Freude der Silvesterfeier einen zu viel über den Durst getrunken und beachteten ihn nicht weiter. Grölten ihm noch ein „gesundes neues Jahr“ hinüber und schlenderten Hand in Hand weiter.
Aber auch er wollte das vergehende Jahr nicht zur Ruhe betten, ohne einen Knall zu erzielen.
Sein Blick senkte sich und starrte lange auf die zerklüfteten Hülsen, die ihm zu Füßen lag. Seine Erinnerung fing an zu schmerzen und all die Bilder, welche an seinen inneren Augen vorbeizogen, tränkten diese salzig. Gnadenlos begannen die Emotionen zu wüten; aufgeschreckt und im Pakt mit der Symbolik jenes Tages stachelten sie seine Dämonen an.
Was sehen Sie, wenn sie im Dunkeln alleine sind, und die Dämonen kommen?
Er schloss die Augen, um das Wasser herauszupressen und sie vor der bissigen Kälte zu schützen. Wieder sah er es. Größer und schöner als zuvor fing es an seine Seele zu martern. Wunschtraum, Illusion, Verlangen, Ungewissheit einer Zweisamkeit, Einsamkeit; alles kam über ihn, stieg in ihm auf und entsprang als raues Lachen. Kein Ausdruck von Glück oder Erleichterung, einzig entstanden aus Last und Leid. Deren Macht, sich über Monate gesammelt, nun um seinen Verstand webte. Vernunft ist nichts, Gefühl ist alles. All die Fragen, die ohne Antwort blieben, sollten endlich Ruhe geben. Das wüten in seinem Kopf, als er sich wieder erhob, die gehässigen Vorhaltungen hinter seiner Stirn, als er zu den Bahngleisen ging und diese fahl im Mondenschein schimmerten. Das elende Frage- und Antwortspiel seiner Gedanken, welche längst nicht mehr zu ihm standen, zerfiel im pfeifenden Lichtpegel des anrasenden Mitternachtsexpress. Es hallte in den Wald, in die Stadt und ging dort unter. Floß in die Masse der Explosionen und mischte sich mit dem heiteren Knallerspecktakel. Das neue Jahr trat in Kraft und mit ihm sind die Alten älter geworden und die Jungen sind gestorben.

[Original vom Neujahr 1999, überarbeitet Sommer 2007, gewidmet]

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