Gothic Friday 2016 – Remember who you are…

Soll ich, soll ich nicht. Soll ich, soll ich nicht… kann ja, zur Klärung der Frage, anfangen die Spinnenweben aus den Zimmerecken zu zupfen. Mal schauen, bei welcher Antwort ich ankommen werde. Und nein, diese hängen dort nicht wegen gepflegter Goth-Attitüden, sondern wegen einer gepflegten »Leck mich, wen interessiert´s«-Einstellung und dem Leben innerhalb von Parterre mit angrenzender großflächiger Wiese am Stadtrand.
Scheiß drauf. Und zudem mag ich die Ironie, dass ich, während ich das redigiere, im Hintergrund die »Khaos Legions« von Arch Enemy laufen habe. Was in sich schon eine interessante Beantwortung der Frage abgeben würde…


Warum bist Du immer noch in der Szene?

Und warum beantworte ich nicht die andere Frage. Dieses, weil ich es schon habe. Irgendwelche hochtrabende Worte, zumindest kam es mir so vor, als ich es unlängst mal wieder überflogen und die mittlerweile ins Leere laufenden Links aussortiert hatte.

Somit, was hält mich noch immer in der Szene? Je nach Stimmung der Pegelausschlag zwischen Nichts und der Gewohnheit. Fertig. Punkt. Und aus.
Denn welche Szene? Ich bin hier meine eigene Szene. Die einzigen, dahingehenden anderen Teilhaber, mit denen ich in nächster Nähe zu tun haben will, leben in einer Distanz von 100 und 230 Kilometer Autobahn. Also welche Szene?
Dieses Fragment davon im hiesigen Kaff? Diese Gegend, die sich nicht mal mehr Großstadt nennen darf und die mir so sympathisch ist, dass ich von Weiten ungerührt dabei zusehen würde, wie diese in Flammen stünde. Diese Gegend, deren Altersdurchschnitt irgendwo jenseits der 47 bestätigt wurde. Der man noch immer das Wesen des humorlosen Proletariers anmerkt. Die Verstocktheit des betonköpfigen Deutschtums mit Zonenprägung. Und jene Gegend, der es sogar gelang als Stadt offiziell insolvent die Hufe hochzureißen. Obwohl selbst Berlin inoffiziell mehr im Arsch ist als dieses Kaff. Diese Gegend, bei der ich nur darauf warte, mit eine von den Ratten sein zu können, die von dem sinken Schiff kommt. Diese Gegend?
Ja, diese Gegend besitzt sogar eine Szene. Eine, die sich in ungleichmäßigen Abständen in einen Club quetscht. Bei dem ich mich in regelmäßigem Abstand beständig frage »Was zum Geier machst du hier eigentlich…«. Außer Club Mate zu assimilieren, damit man überhaupt etwas zu tun hat. Von Floor zu Floor zu schlurfen, den Mädels frustriert auf Tanz und Titten zu blicken und mich an die Zeiten erinnern zu müssen, als es noch Spaß machte, mit seinem Weibchen zu derben Elektro zu pogen. Und sich nicht alleine jene Krabbelgruppe anzutun, die zu technoiden Geflöte abhottet. Oder, nachdem man seine Version des »Hey, du hier.« im Kopf zusammen hat, erleben darf, dass die vermeintlich alleine tänzelnden doch von ihrem Stecher heimgesucht wird. Ja, ich reduziere. Aber das Leben besteht nun einmal nur aus zwei Dingen: Kampf und Trieb. Philosophie und romantisches Selbstfindungsgesäussel hat unsere Spezies nicht über Jahrtausende am Leben gehalten. Also langweilt mich nicht damit.

 

Warum also bin ich noch dort. Wegen einer Gemeinschaft, die nicht existiert. Da ich keinen Wert darauf lege, irgendeinen der hier in dieser Stadt ansässigen Fraggle kennenzulernen. Kerle gleich mal gar nicht. Bin mir selber Sackträger genug, was will ich da mit anderen im meinem Umfeld. Ich habe Freunde, irgendwie, irgendwo und gut ist. Geschlossene Gesellschaft und Neuzugänge dürfen gerne draußen bleiben. Es sei denn, diese sind ebenso gebrochen oder zerschossen wie ich. Aber einmal ehrlich gegrinst und die haben es verschissen. Denn dann geht es denen noch zu gut. Ja, da bin ich Chauvinist, Sexist. Kerle sind lästig. Sind wie der Primat, der tagsüber den Kühlschrank leerfrisst und nachts auf den Bettvorleger pisst. Und einem zudem sämtliche Mädels wegfängt. Denn wenn dann wird einzig freiwillig noch zu Mädels Kontakt aufgebaut. Und damit schon ein Teil der Frage wirklich ehrlich beantwortet, warum ich noch immer irgendwie in dieser Szene involviert bin:
 
Goth Girls

 

Auch nach 25 Jahren. Auch mit meinen 36. Auch wenn sich jetzt schon viele brav besonnen haben. Sich in Cordhosen und »New Yorker«-Pullover hüllen, die Haare anständig schnitten und die Nächte in Clubs als Jugendsünde abwinken. Hach, was waren wir damals bloß für wilde Kerle gewesen. Ho ho… und fuck off. Oder sich, angekommen in der »Mein Haus, mein Job, mein Kind, mein Hund«-Fraktion, nur noch mittels ihrer schwarzen Socken und ledernen Halbschühchen der Szene-Anarchie erinnert wollen. Scheiß drauf, ich nicht. Ich geben einen Scheiß auf die Szene. Bin nur noch Teilhaben, kein Ideologe mehr. Und dennoch, ich kann nicht anders. Es ist mittlerweile Gewohnheit. Ich rasiere mir selbst heute noch mit dem Uralt-Wilkinson den Flat-Top auf den Schädel. Und selbst wenn dieser durch Alter und Biologie nun eher einem Iro gleicht. Was soll´s, bin ich halt Punk und damit back to the roots. Ich lasse mir noch neue Piercings und Tattoos stechen. Bin noch dafür zu begeistern. Und gröle nicht hohl wie jeder gesellschaftliche Fön-Bubie einzig mit Bier in der Pfote bei der WM. Weil man es nur dann darf.
Sondern ziehen noch nachts nach besonders »erbaulichen« Clubabenden durch diese Geisterstadt und zertrete zum Abreagieren diese ganzen scheiß Werbetafeln, bei denen ich dann morgens wieder den Schülern lehre, wie man diese gestalterisch umsetzt. Einer der Gründe übrigens, weshalb ich seit jeher auf brachiale Ledertreter schwöre und mir Pikes einfach immer zu lächerlich waren. Denn schon mal versucht mit diesen niedlichen Spitzschühens in den Randgebieten marodierend Frust abzubauen? Oder ist der geneigte Gote dafür zu gediegen? Und verfasst stattdessen anklagende Prosa. Das oder ein kurz in seiner Aufhängung vibrierender Mülleimer… wüsste schon, was für die Nachwelt schlimmer ware.
Ja, man, definitiv Gewohnheit. Aber mehr nicht. Man ist eben so und darf wohl nun auch zu Recht behaupten, dass man so bleiben wird. Vor allem, da man es sich in diesem Land auch leisten kann. Anders zu sein. Unkonform. Im Rahmen zwar, aber doch im luxuriös großen Rahmen. Und dahingehend mag ich die Szene wohl noch immer. Sie ist unkonform und dabei auf putzige Weise konform, bzw. uniform. Mit Blick hinter die Kulissen weiß man immer was einen erwartet und dennoch nicht im langweiligen Sinne. Da man eben dieses erwartet und es auch sehen will. Anstand und Abartigkeit treffen auf einander. Und ja, das hat schon was… hat eben nicht jeder… aber eben auch nicht mehr. Alle anderen Lobeshymnen sind für mich nur verklärtes Geschwätz.

 

Zweiter und letzter Punkt: Die Musik. Nach wie vor. Was soll es auch anderes sein? Die tollen Spaziergänge auf den Friedhöfen etwa? Ach komm´ höre auf. Goten-Klischee-Kacke. Mystik, Bewusstsein des Todes und Bla. Ich machte mittlerweile die Erfahrung, dass man nicht szenegeprägt sein muss, um so zu denken. Glaubt man nicht… dann zeige ich mal Schüler mit tragischer Vergangenheit und damit einer depressiven Melancholie im Denken, da schlackert aber jeder Neugote mit seiner Glückseligkeit im Keller mit den Ohren.
Die Szenegetreuen sind auch nichts anders mehr als eine verkappte Spaßgesellschaft. Ja, man schwadroniert abends durchaus auch einmal tiefgründige Gedanken über die Omnipräsenz des Todes in das Gläschen Rotwein. Und hat finstere Poster an der Wand hängen. Wow, bin beeindruckt. Vor allem, wenn man dann am nächsten Morgen ausgeschlafen und quietsch vergnügt das Wohnzimmergetier streichelt und beim Kaffee überlegt, wo man mal ein Eis essen gehen könnte.

 

Vielleicht verkläre ich selber. Aber war es nicht einmal Zuflucht der Entbehrlichen, der Ungehorsamen, der Aufbegehrer? Der Depressiven, der Aufgegebenen. Einfach Refugium der Gebrochenen. Jener armen Teufel, die keiner mehr verstehen konnte, es sei denn deren Rückgrat zerbrach einst mit eben solchem Schlag. Und heute. Heute tummelt sich hier die verkackte Mittelschicht in aller fast schon obszönen Lebensfreude und mit allem gutbürgerlichen Wohlstand.
Ja, ich sehe mich noch als Underdog. Und deshalb schleiche ich noch durch diese Reihen. Auch wenn man nur noch von geschniegelten Rassestammbäumen mit Silberkettchen umgeben ist. Bin der Köter, der sich hier verkrochen hat, der im Dunkeln seine Wunden leckt und sich nur noch zum fressen und scheißen raustraut. Von mir aus kann man mich auch als einen derjenigen Gebrochen bezeichnen. Würde das nicht einmal leugnen. Und deshalb inhaliere ich die Musik. Lebe die Musik. Lebe einzig noch während der Musik. Stille ist Schweigen ist Selbstanklage. Und könnte sogar die Streitfrage losbrechen, ob die Szene jene Musik überhaupt verdiente. Gut, das Neuzeitgetekker definitiv.

Die Musik ist es, die mich noch teilhaben lässt. Nicht die Menschen, die sind einfach nur da. Und stehen zumeist nur dumm im Weg herum. Oder grinsen einen blöde an. Oder stinken nach Bier und Kippen und Sex und machen nicht mal Platz wenn man welchen braucht. Aber füllen nicht die Leere in einem. Ganz im Gegenteil. Und Leere entsteht in den besseren Tagen. Leere verspricht Ruhe. Ein kurzes Innehalten von den restlichen Stimmen aus Verbitterung, Wut, Zorn und Hass. Und das Kompensat, das man sich nicht mit dem Fressen von schwerem Eisen in die Muskulatur brennen kann, das verschafft einem diese Szene als musikalischer Antikörper. Wenn auch nur ein immer kleiner werdender Teil davon.
Denn ich brauche kein musikalisches Gesäusel. Brauche keinen lyrischen Erguss, der nur zur Masturbation des Interpreten diente. Keinen Harmonieklang der gelebten Heilen Welt. Brauche keinen melancholischen Firlefanz, der nur dazu genügt, um den geneigten Goten kurz aus seinem Märchenwunderland zu reißen und ihm mal wieder pflichtbewusst ein paar dunkle Gedanken zu bescheren.
 
Ich will den basslastigen Defibrillator, der einem für einen kurzen Moment wieder zurück ins Leben holt.
 

 
Das musikalische Zeitfenster, das einem innerhalb von Verfall und Dunkelheit wohlwollende Momente aus der Vergangenheit zeigt.
 

 

Brauch das Ventil für Aggression, bevor der Schädel platzt.
 

 

Und einen mitschwingenden Filter, der den Wahnsinn vom Verstand fernhält.
 

 
Letzten Ende alles, was rar gesät ist. Rarer wird und alles andere ist als »Love Will Tears Us am Arsch«-Gothzeug. Weil diese Szene in der Gutbürgerlichkeit angekommen ist und damit zu viele ausdruckslose Anstandsäffchen ermutigt werden, mit ihrer sentimentale Elektro-Trivialität zu belästigen. Wo ist die Emotion? Der verdammte morbide Punk. Alles, was einem dazu verhilft, mit aufgedrehtem Equalizer die Kopfhörer zum Bersten zu bringen, den Tinnitus aus ehemaligen Clubzeiten zurück zu holen und gegen den nächsten versiegten Tag an zu brüllen. Und da ich bis dato nirgends wo anders diese Aggression, Impulsivität und Brachialität gefunden habe, bleibe ich hier. Für die kleine Nische expressionistischen wie selbstzerstörerischen Lärms. Der gegen die eigenen Dämonen im Schädel aufwarten kann.

Und wenn man einfach von der Kulisse angeödet ist, dann zieht man weiter. Geht einen neuen Weg und schläg sich in noch wirres Unterholz. So wie ich nun doch, da mir über die Jahrzehnte sämtliche alten Interpreten zu überdrüssig geworden sind und mir deren neues Material zumeist nur bitter aufstößt. Ich aber mal wieder das Gefühl erleben will, das einem überkommt, wenn man neues entdeckt. Begeistert ist, wie der Junge im Bonbon-Laden, der alles mal testen darf oder als Teenager, als man zum ersten mal in der Pornoabteilung der Videothek stand. Und so landete ich unlängst in einer Sparte, die ich früher nie für voll oder gar ernst genommen hatte. Ein Fehler, wie ich nun weiß. Gestützt auf Unwissenheit und Überheblichkeit. Denn momentan kann ich mir kein besseres Refugium vorstellen, als diverse Pfade des Metals. Aber Schwarz bleibt schwarz… oder?
Denn immerhin ist es kein radikales Den-Rücken-zu-kehren. Auch kein „Nein, ich bin dafür nun zu erwachsen“-Schwachsinn. War es mir nie Mode gewesen, sondern doch Mentalität. Und die bleibt immer gleich. Nein, aber es ist schon eine Flucht. Raus aus den Erinnerungen der letzten Jahre, die logischer Weise ihre Wurzeln auch starkt in diese Szene gruben. Raus aus dem Status Quo. Und die verdammte Hoffnung auf einen Neuanfang. Dort bin ich neu, kenne mich nicht aus. Lerne hinzu und bin von noch keiner Entwicklung frustriert. Außer vielleicht, dass einem so ein Reggae-Hippie-Kindergarten-Bullshit als Pagan-Folk verkauft wird. Nein, diese Welt ist neu, noch relativ unbelastet und damit frei von Erinnerungen und Gedanken. Ja, dennoch nur relativ unbelastet, aber immerhin besser als der eisige Wind und dunkle Schatten, der über der alten musikalischen Heimat liegt. Natürlich, Heimat bleibt Heimat und man kehrt auch noch immer wieder zurück, aber so wirklich habe ich mich nun auf Wanderschaft begeben. Ziehe fort, ziehe weiter, um wieder das zu finden, was ich einst war. Und mich wieder erinnern zu können, wer ich eigentlich bin.

In diesem Sinne…

„Remember who you are… this is fucking war!“
 

 
„You see I am the wolf,
And this dirty, little piggy lives inside of me
You see every now and then,
I forget which one that I want and which one that I need
I have come to realize
That both of them have become a necessity
I now have come to realize
That I become which animal I choose to feed“
PIG! PIG!

 

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