Vergessene Orte – Das Schweigen der Kälber

Photobucketotcha…war mein erster Gedanke, nachdem ich die Umzäunung hinter mir gelassen hatte. Auch wenn die laute Aussprache jenes Begriffes ein schlagartiges Gewitter aus Entrüstung und Ermahnung nach sich ziehen würde.

Zumindest scheint dieses Wörtchen innerhalb von youtube dem Lost-Place-Sentimentalisten wahren Tränen in die Äuglein zu jagen. Doch warum solche Anlagen ihrem Schicksal als Deponie überlassen und der Verrottung übergeben? Auch kein allzu ehrenvolles Ende.
Aufkaufen, den maroden Charme erhalten, das Gelände gemäß des Umwelt- und Nutzerschutzes absichern und ich gehe jede Wette ein, dass ein solches Areal ein Mekka solcher Freizeitkämpfer und Real-Ego-Shooter werden wird.
Doch wir leben ja in Deutschland. Einem Land, in dem man mehr als einen Kniefall mit Fußkuss machen darf, um überhaupt ein paar Aufblashindernisse in ein hermetisch abgeriegeltes Waldstück tackern zu dürfen. Ist das doch ein Kriegsspiel, die Keimzelle eines jeden Amoklaufes, die Brutstätte des soziopathischen Waffenfetischisten. Möglich, doch in einem Land, in dem meine Regierigen gelangweilt mit den Achseln zucken, während sich Schützenvereine in Kellerräumen von Schulen einnisten oder Wünsche äußern, dass schon jeder Drei-Käse-Hoch Mitglied werden können sollte, würde ich das Contra mal nicht so inbrünstig in die Medien wettern.

Photobucket

Doch wir leben in Deutschland, wohlgemerkt: zu Glück. Denn als ich mich hinter eine hüfthohe Stahlplatte gehockt hatte, um meine Kamera aus dem Tornister zu kramen, fiel mein Blick auf einen Sensor; an eben dieser Platte. Sicherlich eine Wegmarkierung, ein Kontrollpunkt des Wachschutzes. Bei dem mir augenblicklich Auszüge des Artikels »42 Stunden hinter Gittern« von Shan Darks schwarzem Planet in die Erinnerung zogen.
Ein derartiges Extrem der Gerichtsbarkeit wird einem hierzulande wohl kaum widerfahren, doch auf einen Besuch im Büro eines humorlosen Genossen Polizeiwachtmeisters habe ich dennoch wenig Bock. Derartige Erlebnisse aus meiner Jugend genügen mir noch immer völlig. Und das Wörtchen »Hausfriedensbruch« vermag ich auch ohne deren Hilfe buchstabieren zu können. Demnach also nichts provozieren…

Photobucket

Die Anlage war ausladend. Bei weiten komplexer, als es vom Umwandern der Außenmauer den Anschein erweckt hatte. Und dabei sind nur die alten Verarbeitungshallen, Verladedocks und Kühlkammern zugänglich. Der Verwaltungsbau, der von seiner Abmessung her durchaus ein Drittel meines alten Mittelschulgebäudes ausmachen könnte, bleibt unzugänglich. Verrammelt von schweren Eisen und massivem Holz.

Photobucket

Photobucket

Auferstanden aus Ruinen und der Sonne zugewandt, oder war es doch nur der Zukunft. So überschätze sich einst mein Heimatland, das schon längst wieder in Ruinen untergegangen war. Abgewendet von der Sonne fristet es nur noch ein Schattendasein in der Vergangenheit allzu subjektiver Köpfe. Ein Untergang mit verbrannter Erde. Mit architektonischem Kollateralschaden, der Deutschland noch immer in zwei Hälften teilt. Oder ist es nur Zufall, dass die ehemalige Zone, speziell Thüringen und Sachsen, mehr dahingehende Pilgerstätten besitzt, als die anderen 10 bzw. 11 Bundesländer zusammen. Ich glaube wohl nicht. Selbst der Ruhrpott braucht in aller Überheblichkeit nicht mit seinem industriellen Verwesungshauch zu protzen. Die üppigen Trümmerlandschaften dieser Himmelsphäre gilt es auch von ihm erst noch zu überbieten…

Photobucket

Nachdem die Einstellung der Kamera an den singlefeindlichen Frühlingstag angepasst worden war, begann der Streifzug. Und der Einstieg in eine Atmosphäre des Monomentalen. Mit geschätzten elf Metern Höhe wartete die erste Halle am Ende eines kleineren Verwaltungstraktes auf. Eine Höhe, bei der man erst einmal im Türrahmen stehen bleibt und ein »Wow« durch die Gedanken klingen lässt. Trivialer architektonischer Pragmatismus innerhalb einer ohnehin schon rein auf Zweckmäßigkeit ausgelegten Industriekultur. Und dennoch fühlt man sich wie ein Wurm, wie ein Pimpf vor dem Eifelturm.

Photobucket

Aufdringlich prallte die Mechanik des Auslösers von Mauer zu Mauer und zog hallend von dannen. Ebenso knirschten die Glassplitter unter der Sohle und schwang das dumpf-metallene Klirren der Metalltreppen. Die Stufen wirkten zwar noch allzu robust, lagen aber nicht mehr in ihrer kompletter Zahl auf den Stahlträgern. Was gerade beim Abstieg ein wenig mehr Behutsamkeit abverlangte.

Photobucket

Photobucket

Einst hatte mich ein Streuner aufgesucht und keine Anstalten unternommen, mich seine Antipathie nicht spüren zu lassen. Nun waren es die Ratten der Lüfte, die mich von ihrem luftigen Revier auch beobachtet hatten. Tauben, the Goodfeathers, deren gedämpftes Flattern ich schon längst wahrgenommen hatte und deren Bande mich nun vehement zu verfolgen schienen.
Zumindest nachdem ich durch deren Heiligtum geschlichen war und diese entrüstet begonnen hatten, über meinen Kopf umher zu flatterten; wenn auch in einiger Meter Höhe. Es muss sich um deren Hauptdomizil gehandelt haben, da sich in der Mitte der Halle ein Berg von erdiger Hinterlassenschaft jener Flattenratten aufgetürmt hatte. Garniert mit alten Federn.

Warm und Kalt wechselten sich ab. Ebenso die exzessive Außensonne mit dem Stockfinsteren innerhalb der Kühlanlagen. Deren bunkerähnliche Verriegelungstüren und das Vergessen einer Taschenlampe nicht gerade zu tieferer Erkundung einlud. Zumal der süßsaure Hauch noch immer eingelagerter Produktpaletten auch alles andere als anziehend gewesen war. Milchprodukte, deren Verfallsdatum nur noch in Geschichtsbüchern zu finden wäre und deren Preis noch aus zwei Buchstaben und keinem designten Symbol bestand.

Photobucket

Photobucket

Photobucket

Verarbeitungshallen lagen an Verarbeitungshalle. Allesamt klein und überschaubar, bestückt mit alter Mechanik und Chemie. Und bedauerlicher Weise auch der Grund für die nicht vollständig abgeschlossene Erkundung. »Jemand schleicht hier herum« Zwar hatte ich mich schon daran gewöhnt, dass ein lautes Flattern und aufgescheuchtes Glucksen irgendeiner Taube die fühlbare Stille durchschnitt und mir ebenso scharf in den Nacken jagte. Etwas, das ich schon reflexartig mit gemurmelten Verfluchungen gegenüber jenen Viehs dankte. Doch Tauben lassen kein schweres Metall fallen, das hohl und scheppernd auf Beton schlägt. Ebenso spielte auch kein Wind damit. Das himmlische Kind schien zwar Puppen zu zerfleischen, ließ sich aber den ganzen Tag über nicht blicken. Dennoch vibrierte noch immer der Verrat einer Bewegung durch die Werkshalle, einer Handlung, die nicht von mir gestammt hatte.

Photobucket

Photobucket

Beobachtend ließ ich die Kamera sinken, sondierte den Außenhof und lauschte in die Stille. Keine Schritte, keine Schatten. Kein selbstsicheres Treten in das Blickfeld, noch Ambitionen eine Zutrittsbefugnis meinerseits zu erfragen. Demnach wohl auch nicht gerade mit dem Segen der rechtlichen Absicherung ausgestattet. Wären doch dem legitimen Wachschutz die knirschenden Schritte und das Klacken meiner Kamera sicherlich nicht entgangen. Wobei mir ein Tilgen letzterer Lärmquelle durchaus lieb wäre. Bleibt doch jene Geräuschkulisse über einige Räume hinweg allzu entlarvend.

Photobucket

Photobucket

Photobucket

Bedauerlich. Erinnerte mich die Unachtsamkeit meines Mit- oder Gegenspielers doch daran, dass ich schon zu lange in dieser Arena herumgeisterte. Lieber vorzeitig, aber dafür in Ruhe den Heimweg antreten, als den Bogen zu überspannen. Und nach nur noch wenigen Minuten jemanden über dem Weg zu laufen, dem man nun erst einmal erklären kann, dass man all dieses nicht tat, wonach es in dieser Anlage mittlerweile aussieht.

Photobucket

2 Gedanken zu „Vergessene Orte – Das Schweigen der Kälber

  1. Gruselig, wirklich! Du hast das Zeug zum SChauerautor und Thrillator, ich hatte plötzlich auch Schiss (aber nicht vorm Weiterlesen :)). Wäre ebenfalls verschwunden. Man weiß ja nie, wer oder was da noch so rummacht. Wobei ich mir vorstellen kann, dass Du Dich wehren kannst. Vielleicht war es ja ein anderer Urbexer, wer weiß. Aber Gewissheit braucht man nicht.

    Ansonsten sind das wirklich starke Fotos – bin beeindruckt. Mich wundert, dass Du die 11m Höhe so gut aufs Bild bekommen hast,dass es aussieht als wäre der Raum ein Schlachthof. Und nein, was Ruinen und gerade Industrieruinen angeht, da brauchen sich Sachsen und Thüringen nun wirklich nicht zu verstecken. Ein Mekka dafür, wie der Osten an sich.

    Beim Taubenfedernberg musste ich an das recht gut gruselige Hörbuch „Tauben aus der Hölle“ denken (Gruselkabinett-Folge). Und „singlefeindlicher Frühlingstag“ hab ich auch vorgestern schon von anderer, ebenfalls männlicher Seite gehört. Vielleicht triffst Du ja beim Urbexen Deine nächste Muse – und hoffentlich war Hannibal dann nicht schneller…

  2. Prinzipiell kann dort rumspuken wer will. Stehen doch die Chancen eher gering, auf all jenes zu treffen, was in albernen Ami-Filmchen innerhalb von 90 Minuten irgendwelche College-Kids-Gruppen dezimiert.

    Das Gebäude liegt an jener Straße, von der aus man in die Innenstadt gelangt. Zumindest von dort, wo ich hause. Und erst letztens wieder sah ich vor dem Tor das Fahrzeug eines Wachschutzes stehen. Ergo: Es gibt Kontrollgänge. Keine Ahnung, ob diese regelmäßig oder nur als Stichproben ablaufen. Jedenfalls wurde ich durch den Lärm daran erinnert, dass jederzeit Kontrollgänge gemacht werden könnten und man nicht gerade über eine schriftliche Einladung verfügt.

    Vielleicht werde ich dort bei Gelegenheit mal anfragen. Denn mit Genehmigung kann man sich besser auf das Fotografieren konzentrieren. Vorausgesetzt natürlich, man erhält jenes Privileg. Welches einem, so recherchierte ich bis jetzt, in 19 von 20 Fällen nicht gewährt wird.

Schreibe einen Kommentar