3ter Oktober 2011 – Der Einheit Einhalt gebieten?

Fast vergaß ich, dass wir heute den 3ten Oktober schreiben. Dem scheinbaren Lieblingstag deutscher Stammtisch-Rülpse, die wenigstens am heutigen Tag, vom Karneval abgesehen, ihre Latrineparolen absondern können und dabei sogar noch ungestraft Sympathisanten um sich scharren können.

»Der Osten brachte uns das Verderben!«
»Der Westen brachte uns den Untergang!«

Man sollte meinen, dass die paar Jahrzehnte Mauerblick wenigstens die Sicht auf unterschiedliche Argumentationsträger verstärkt hätten. Und wenn das schon nicht ausreichte, dann wenigstens die folgenden zwei Jahrzehnte mit Ausblick. Taten sie aber nicht. Jeder sucht den Nachteil, wobei der Auslöser des eigenen Darbens selbstredend bei der Gegenseite zu suchen ist. Welch´ ein Glück, dass man diesen dort sogar mit viel Willen und Kompromissbereitschaft finden kann.

Da fragt man sich, was der Ein-Komponenten-Pöbel Deutschlands in den Foren rumzugiften hat. Beide Landes-»Hälften« sind im Arsch und schuld ist bewiesener Maßen immer der andere, somit ist das doch eine solide Win-Win-Situation.

Polemik und Geschwätz, das zu allem Überfluss noch ernst gemeint wird. All das überkommt einen an diesem Tage erneut. Selbst wenn man bei den Temperaturen mit H&M-Badehosen um die Schwarte und Dresdner Stollen in den Pfoten im Gartenpool fläzt und den Laptop vorbeischwimmen lässt.

Geplatzte Aufbauversprechen, Solidaritätsbeischlag und das sächsische Dialekt. All diese plötzlichen Ärgernisse der gut gemeinten und schön vergeigten Mauerstürzung quellen nun empor und kleckern das Web sowie den Druck voll. Anstatt dass man wenigstens heute einmal genug Anstand und Weitsicht vertritt und sich ausnahmsweise im eigenen Schuldzugeständnis übt. Und wenn es nur im übertragenen Sinne ist.
Beim Ostdeutschen, der sich weder in Geduld noch in Vernunft übte und nach der Grenzöffnung sofort alles gleich und plötzlich haben wollten. Einheit, Währung, Angleichung. Ohne begreifen zu wollen, dass bei solcher Eile die Wirtschaftspfeiler zwangsläufig nur in den Sandboden gesetzt werden konnte. Ein solides Fundament braucht nun einmal Zeit zum aushärten.
Beim Westdeutschen, der nicht verstehen wollte, dass ein halbverhungerter Untermieter andere Ansprüche geltend machen kann, als wenn dieser plötzlich als Lebenspartner im selben Wohnzimmer hockt und über den selben Kühlschrank herfallen kann. Erst anlachen und dann beim Versorgungsanspruch auf Kosten des eigenen Wohlstandes vorknöpfen wollen? Das zeugt weder von Sachverstand noch von Empathie.

Aber sei der Gerechtigkeit halber auch nicht die dritte große Instanz des Theaterstücks vergessen. Der Politapparat, der alles über´s Knie brach und kaum einen Hüftschuss ausließ, um die rollende Lawine noch zu verstärken. Dem es ebenso wenig um Weitsicht oder solide Planung ging. Sondern einzig darum, alles möglichst noch in der eigenen Amtsperioden abgearbeitet zu haben. Damit noch die eigene Fresse großformatig im dahingehenden Geschichtsbucheintrag auftaucht. Denn was wäre schlimmer, als wenn man noch jahrelang rumplant wie kalkuliert und plötzlich sieht man sich im Ruhestand. Und muss ansehen, wie der degenerierte Nachfolger die Lorbeeren einstreicht. Wer will das schon.

Ich jedenfalls nicht. Eben so wenig wie diesen Feiertag. Der außer dem erlaubten Fernbleiben vom Arbeitsplatz keinen nennenswert positiv-emotionalen Nutzen besitzt. Denn solang die Mauer noch durch die Köpfe geht. Solang die Stammtischparolen noch wie Bluthunde durch die Gedanken hetzen und die Polemik zum Minenfeld wird, solange existiert ohnehin keine Widervereinigung. Und wird auch nie.
Allerhöchstens dann, wenn auch der letzte BILD-Leser begreift, dass sich die letzten Scheißargumente »Der Wessi bekommt so-und-soviel Prozent mehr Lohn« sowie »Im Osten sind die Mieten ja so-und-soviel billiger« eigentlich gegenseitig aufheben. Beziehungsweise, wenn es dem Politapparat endlich gelänge, diese Argumente im Keim zu ersticken, dann könnte sich Deutschland durchaus als »vereint« schimpfen. Fast schon bedauerlich, dass ich keine Enkel haben werde, die das erleben könnten.

2 Gedanken zu „3ter Oktober 2011 – Der Einheit Einhalt gebieten?

  1. Die Mauer in manchen Köpfen wird wohl noch ein Weilchen vorhanden sein. Ob eine weitere Generation ausreichen wird, um diese einzureißen? Gedankengut wird ja nur zu gerne an Jüngere weitergegeben. So gibt es zahlreiche Menschen, die nach dem Mauerfall geboren wurden und trotzdem (unbegründete) Ressentiments gegenüber den Menschen im anderen Teil Deutschlands haben. Ein trauriger Umstand.
    Ich für meinen Teil bin dankbar dafür, Richtung Osten blickend keine Mauer, keinen Zaun, keinen Stacheldraht und bewaffnete Grenzsoldaten registrieren zu müssen.
    Der Tag der deutschen Einheit. Ein Tag, um Fragen zu stellen: Warum wurde keine gemeinsame Nationalhymne beschlossen? Die 9te von Beethoven (Freude schöner Götterfunken) wäre doch eine gute Wahl gewesen (und noch dazu eine deutliche Verbesserung). Und warum wurde eigentlich keine gemeinsame Verfassung auf den Weg gebracht? Die Politik hat hier (leider wie so oft) komplett versagt.

  2. […]Ob eine weitere Generation ausreichen wird, um diese einzureißen? […] So gibt es zahlreiche Menschen, die nach dem Mauerfall geboren wurden und trotzdem (unbegründete) Ressentiments gegenüber den Menschen im anderen Teil Deutschlands haben. […]

    Da wird es noch ein paar Generationen brauchen. Wenn man bedenkt, wie viele heute noch NS-Indoktriniert sind. Obwohl die damals beteiligte Generation so gut wie ausgestorben ist, leisten viele Familien noch energische »Rückbesinungsarbeit« und geben jene Weltanschauung an die jeweils jüngere Generation weiter.
    So auch der Populismus bezüglich beider deutscher Himmelsrichtungen. In der Satire darf man diesen ja von mir aus aufgreifen, schließlich ist der Mauerfall ja noch nicht so lange her. Auch wenn jene Generation, die danach geboren wurde, schon »sitzen und sprechen« kann. Aber das dieser Populismus noch immer im ernsten Tonfall über so manche Esstische des Kleinbürgertums gereicht wird, das ist nach mehr als 20 Jahren wirklich peinlich.

    […] Der Tag der deutschen Einheit. Ein Tag, um Fragen zu stellen […]

    Definitiv. Meine Frage: Warum wird etwas »Einheit« genannt, was im Grunde gar keine war. Für mich war das eine reine Assimilation. Sämtliche Gebaren der BRD wurden über dieses Land gestülpt und mehr nicht. Ob es später zu Abstoßreaktionen kam, oder der Angleichungsprozess gelang, dass sei mal dahingestellt. Doch ein Zusammenschluss von zwei gleichwertigen Teilen sieht anders aus.
    Nun gut…in der Zone gab es auch nicht viel, womit man hätte prahlen können, aber es gab doch mehr als nichts.

    Zudem finde ich die Formulierung »Wiedervereinigung« ohnehin albern. Was wurde denn wiedervereinigt? Deutschland? Allerhöchstens als Sprachraum. Aber das deutsche Land vor der Spaltung hatte nichts mit den beiden daraus resultierenden Staaten zu tun. Das wäre so, wie die Schweiz und Österreich zu vereinen und die Aktion mit »Endlich wieder vereint« zu umjubeln.
    Vor der Spaltung war der Landstrich ein besetztes Stück NS-Vergnügungspark. Danach gab es süd- und westlich ein vom Amie subventioniertes Großabnehmerland für Überlandprodukte und DDR-Billigfabrikate; als Puffer gegen den Kommunismus. Und östlich gab es ein reparationsgeschlauchtes Schürfgebiet und Ideologie-Versuchkäfig vom großen roten Bruder.
    Somit im Grunde drei Welten, die sich vorher nie begegnet sind. Was sollte demnach wiedervereinigt werden. Vor allem innerhalb der zwei von drei Generationen, die nichts anderes kannten als jene zwei deutschen Staaten.

    […] Warum wurde keine gemeinsame Nationalhymne beschlossen? Die 9te von Beethoven (Freude schöner Götterfunken) wäre doch eine gute Wahl gewesen (und noch dazu eine deutliche Verbesserung). Und warum wurde eigentlich keine gemeinsame Verfassung auf den Weg gebracht? […]

    Das erarbeiten einer gemeinsamen Verfassung hätte schon etwas für sich gehabt. Dass hätte dem Wort »Einheit« wenigstens zu gewisser Kraft verholfen. Was die Nationalhymne angeht, keine Ahnung. Doch »Freude schöner Götterfunke« wäre mir persönlich zu pathetisch. So toll ist das Land, bzw. der Staat, auch nicht. Denn ich verbinde Nationalhymnen alleine mit dem Staat, nie mit dem Landstrich als solchen.
    Zumal ich gehässig genug bin, dass mir bei der heutigen Melodie öfters mal ein »Deutschland Deutschland über alles…« über die Lippen kommt. Wenn schon, denn schon. Auch wenn die folgenden strophlich geografischen Einwürfe nicht mehr korrekt sind.

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