Heute schon genüsslich genossen?

Photobucketomöglich liegt es am Wetter. Lädt doch die Sonne zum innehalten ein und lässt einen in den Wirbel der Wahrnehmung abtauchen, ohne wettergeschunden weiterzustapfen. Und was leitet die Wahrnehmung besser ein, als der Genuss.

Jener, der sich von sämtlichen Werbetafeln oder Produkten auf den Betrachter wirft und zu sofortiger Assoziation nötigt. Sich dessen Abstraktionsvermögen anbiedert und ihn zwingt, sich den versprochene Reiz der Wahrnehmung schlagartig einzubilden.

Genießen Sie den Sommer auf unseren Liegestühlen. In unseren Aufblaspools, in unserem Cabrio. In deren Stau oder überhaupt in dem zwangskultivierten Restgrün zwischen den Wohncontainern, auch als Parks verklärt.
Genießen Sie hier und genießen Sie da. Da muss man schon erfahrener und harttrainierter Pessimist sein, um bei der täglichen Dosis Genuss noch sein steinern depressives Gesicht zu wahren.

Besondern aufdringlich scheint es in den hiesigen Großmärkten zu sein. Zumindest kommt es mir in letzter Zeit so vor. Vielleicht achte ich auch nur verstärkt darauf. Doch kann man kaum noch etwas kaufen, ohne gleich den berauschenden Genuss auferlegt zu bekommen.
Selbst beim Toilettenpapier entblödet man sich nicht, diesen Akt animalischster Hygiene zum Höhenflug des Wohlfühlens zu erklären. Ungeachtet dessen, wo dem Kunden so manche Produkte vobeigehen.

Mag sein, dass sich manch eine oder manch einer über diesen Zustand glücklich fühlt. Dass diese den Genuss des scheinbaren Genießens beim Einkaufen als eine der weiteren hohen Freuden des Alltages ansehen. Sich in Orgasmen des eingebildeten Genusses labben, wenn sie dieses Wörtchen schon von weiten erspäht. Doch ich gehöre nicht dazu.

Ich genieße nicht das Wasser des Händlers meines Territoriums. Ich trinke es nur, weil der Preis hinsichtlich der innewohnenden Mineralstoffe charmant gewählt wurde und weil es nicht nach Plastikrückstand, sondern nach Glasflaschenwasser …schmeckt.
Wobei auch nur die Werbung lustig genug ist, um zu behaupten, dass ein Produkt aus 100% geschmacksneutraler Flüssigkeit in ihren Flaschen plötzlich zum Geschmacksverstärker reagiert. Welch´ Zauberei und das so ganz ohne Geheimformel.

Kann man etwas genießen, das keinen Geschmack hat. Nun gut, den Zustand. Aber mehr auch nicht. Wasserkonsum ist pragmatisch, mehr nicht. Und so sehr erfreue ich mich auch nicht mehr darüber, dass ich keinen Dust mehr habe. Bin da wahrscheinlich schon zu dekadent.

Ebenso das Abpackfutter, das einem in den Märkten unentwegt angeboten wird. Genießen Sie mediterran. Natürlich. Habe ich doch den Mittelmeerraum zum Fressen gerne. Genießen Sie diese Woche auf Griechisch, Italienisch, Asiatisch, Mexikanisch, Amerikanisch und weiß der Geier. Was soll der Scheiß. Muss man denn aus jedem schleimigen Brotausstrich und jeder Chipstüte ein Hochereignis zelebrieren?
Aus der Chipstüte vielleicht. Und dann in der Werbung am besten die wirklichen Konsumenten solcher Produkte auftreten lassen, anstatt dass junge reinhäutige Teenies mit Idealmaßen herumhopsen und die blanken Zähne blecken.

Was soll ich beim Essen genießen? Der Genuss ist die Gespielin der Schickeria. Womöglich noch des vornehmen Mittelstandes. Für mich ist Nahrung Pragmatik.
Was soll man genießen, wenn man ohnehin seit Monaten oder gar Jahren nur denselben Krempel kauft. Da diese mit vertretbarer finanzieller Gegenleistung Fette, Eiweiße und Kohlehydrate ganz abdecken.
Nahrung ist stupides Soll der Lebenserhaltung. Sieht man das anders, so verfügt man entweder über mehr Barvermögen als Ausgaben oder untergräbt den heiligen BMI, das steinerne Gebot der Gesundheitsgläubiger.

Doch verblüfft es mich gelegentlich, was manche für einen Kult, was manche für einen Fetisch in das Essen legen. Der Zenit dieser Ungläubigkeit wurde bei mir durch ein Hochglanzmagazin erreicht, dass sich zwischen all den Gazetten des Bodybuildertums herumtrieb.
Und unter all dem Hochglanz-Muskelgewebe und scheinwerfergefluteten Weiberfleisch verborgen lag. Zwischen dem Businessgehabe, Anlegertipps und Prominentenklatsch. Zu dem ich nur dann greife, wenn ich möglichst schnell wieder fertig sein will.

Ein Edelmagazin rund um die Vorstufe zur Toilettenpapier-Wohlfühlorgie. In der sich Star- und Sterne-Gourmets an Zutaten aufgeilten, die ich noch nicht einmal buchstabieren könnte. Geschweige denn spontan erahne, welches übertriebene Gehabe sich dahinter verbirgt.
Das einzige was ich sehe, ist die Übersichtlichkeit der Tellerinhalte. Und das mich dieser Witz eines Sättigungswertes wohl mehr kosten würde, als ich im Monat überhaupt ausgeben kann.
Da wird das vorgesetzte Gericht zur bildenden Kunst, zum Zeitvertreib der Überflussgesellschaft, bei dem der schnieke Keramikteller 96% des Gesamtgewichtes ausmachte.

»Brust von der Bresse-Pularde mit Steinpilzen und Kürbis-Aprikosen-Chutney im Minikürbis« Meine Fresse, bis ich das ausgesprochen habe bin ich verhungert. Und auch wenn ich gerne mal an Brüsten knabbere, so muss man doch nicht gleich alles fressen, was man gerne hat. Einen kleinen Unterschied der westlichen Welt zum Kannibalismus sollte schon gewahrt bleiben.
Doch was zum Henker war eine Bresse-Pularde überhaupt für ein keuchendes Getier? Nach angehender recherche hätte ich dieses recht schnöde als »Huhn« abgestempelt. Doch da hätte ja jeder an das vulgäre Federvieh vom fahrenden Grill gedacht und das hätte den gehobene Gourmet schon in seinem Selbstbild entwürdigt.
Außerdem hätte ich das edle Geflügel damit hin zum ordinären Artgenossen degradiert. Ehre wem Ehre gebührt. Wenn schon ebenso geschlachtete wie das gemeine Haushohn, dann wenigstens mit Adelstitel.

»Mosaik von gebeiztem Wildlachsmedaillon und Wolfsbarschtatar mit Blumenkohlparfait und Dillmarinade«, »Rehrücken im Pfifferling-Crêpe-Mantel auf karamellisierter Gänseleber und Essigkirschen«…ist das der Neid.
Der Angriff als Verteidigung, da man selbst die lappige Tiefkühlpizza Margarita für das kulinarische Jahresereignis hält. Und diese dabei in die Mikrowellen wirft und anschließend zusammenrollt, um die geladenen Gäste mit hausgemachten Lahmacun zu betören.

Ich weiß es nicht, aber solange selbst Tierfutter so beworben wird, das der Sofafussler Angst haben muss, dass es ihm Frauchen irgendwann wegrisst, solang muss ich mich weiterhin dem Genusswunderwand hergeben.
Und mir dabei mit meinem Standard von Magerquark, Kürbiskernbrot und Haferflocken so richtig schön verarscht vorkommen. Es sei denn, es wird mal wieder Zeit für Gemüse. Dann jauchzt der Gourmet in mir und labt sich in der Auswahl der ewig gleichen Tiefkühlbeutel. Um mediterran zu genießen. So wie auch das ganze verdammte Leben ein einziger Mittelmeergenuss ist.

4 Gedanken zu „Heute schon genüsslich genossen?

  1. Mal wieder ein schwer netter Artikel, der mir aus der Seele spricht. Diese ganzen gestelzten, versnobten Dödel-Menü-Begriffe, bei denen man den Eindruck hat die beschäftigen extra eine ganze Texteragentur nur zur kreativen Betitelung ihres Fraßes, da krieg ich echt zuviel.

    Mir geht es da wie Dir: Essen ist notwendig. Punkt. Ich genieße auch Haferflocken oder mein Leibgericht Kartoffeln mit Quark. Aber mit genießen meine ich, dass es mir bei Vorhandensein von Hunger sehr gut schmeckt. Und ich es trotzdem nicht wie ein Bauer in mich reinschaufele, sondern langsam essen kann. Lecker Essen zur rechten Zeit ist ein Genuss! Da braucht es keinen „Dialog von Wildlachs und Forelle an Sonnenterassenreis“. Werde ich eh nicht satt von, weil ich den Mund ja nicht nur zum Reden aufmache.

  2. […] versnobten Dödel-Menü-Begriffe, bei denen man den Eindruck hat die beschäftigen extra eine ganze Texteragentur nur zur kreativen Betitelung […]

    Ich glaube dem Klientel würde im diesen edlen Restaurants auch ein ordinäres »Einmal die 43 mit Extra-AnalogKäse zum hier essen« im Halse stecken bleiben. Da muss schon der Begriff im Munde zergehen und in ausladender Beschreibung den Klecks auf dem Teller definieren. Da man sonst wohl nicht erahnt, dass es eben kein Huhn war, das da irgendeinen Fleischfetzen gelassen hatte, sondern dass eine Bresse-Pularde die Brust gab.

    […]Ich genieße auch Haferflocken oder mein Leibgericht Kartoffeln mit Quark. Aber mit genießen meine ich, dass es mir bei Vorhandensein von Hunger sehr gut schmeckt. […]

    Haferflocken? Als ich damit anfing, war es eine nette Abwechslung. Zumal den rohen, gegenüber dem Anblick von Krankenhaus-Haferschleim, doch eine gewisse Essästhetik innewohnt.
    Doch vom Geschmack her könnte man auch Pappe untermischen, es bliebe gleich. Zumindest für mich und mittlerweile.

    Wahrscheinlich ist der Genuss beim Essen mit der Lebensfreude verknüpft. Fehlt das eine, schwindet das andere.

    Zumal ich gegenüber dem Esse ohnehin ein gespanntes Verhältnis besitze. Entweder esse ich zu viel oder zu wenig. Seit Jahrzehnten suche ich erfolglos nach dem gesunden Mittelmaß.
    Genuss beim Essen ist meist mit zwei Dingen verbunden. Entweder mit zuviel Kosten oder mit zuviel wertlosen Kohlehydraten alias Einfachzucker. Und beides ist nicht tolerierbar oder bei der Rückmeldung der Vernunft von bitterem Nachgeschmack.

    Was nicht heißen soll, dass ich nichts schmecke. Die Rezeptoren nehme es schon wahr. Und es ekelt mich auch nicht an -ein weiterer Grund, nicht zum reinen Masseaufbau hin zu trainieren- Doch die Analyse in die jeweiligen Geschmackssparte bleibt emotionslos.
    Was soll ich mich da begeistern? Davon wird das Leben auch nicht besser, der Tag auch nicht anders. Aber vielleicht sehe ich da auch etwas falsch.

    […] Da braucht es keinen “Dialog von Wildlachs und Forelle an Sonnenterassenreis”. Werde ich eh nicht satt von […]

    Ich habe auch nie verstanden, was der »Dialog« beim Essen bedeuten soll. Aber ich glaube, ich will es auch nicht wissen.
    Zwar kann ich mittlerweile kochen. Auch gut kochen und besitze einige gute Bücher…allerdings nur vegetarisch bis veganen Inhalts…doch ich tue es für mich nicht.
    Und Kochsendungen, die mich womöglich im vermeintlichen Dialog über den »Dialog« aufklären könnten, meide ich.
    Denn was die betreiben ist mir schier zu blöd.
    Was in den klassischen Formaten für ein Aufwand betrieben wird… Natürlich stand ich auch schon einmal vier Stunden in der Küche und fabrizierte dabei einen unschönen Berg an Abwasch. Aber das zur täglichen Normalität erklären? Da würde mich echt etwas fehlen…oder mir fehlt somit die sog. orale Ersatzbefriedigung Lebensqualität.

  3. Und auch hier wieder meine volle Zustimmung (wie könnte es anders sein?) ;-)

    Ich mag es wohl, wenn beispielsweise ein Freund, der sehr gerne und gut kocht, uns zum Essen einlädt. Ich weiß, dass es ihm Freude macht, uns seine Kreationen zu präsentieren, weil er eben gerne Rezepte ausprobiert und aufgrund seines Single-Daseins weniger gerne nur für sich selber kocht.

    Er besorgt die Zutaten mit liebevollem Engagement – kauft in kleinen Gewürzläden ein oder verwendet Olivenöl, das er irgendwann auf einer Italienreise bei einem Olivenbauern entdeckt und mitgenommen hat. Er sorgt dann für ein schönes Ambiente, Musik und eine etwas sorgfältigere und gehobenere Präsentation des Essens als es im Alltag mit dem Rest des angeschlagenen Geschirrs, das noch nicht in der Spüle liegt, üblich ist.

    In diesem Fall ist das Essen natürlich ein Genuss, weil es mit Freundschaft, Leidenschaft und Geschichten verbunden ist, die er – beispielsweise zum Entdecken des Olivenöls und der Arbeit des Bauers in Italien – erzählt. Es ist ein Genuss, weil ich weiß, dass er extra für mich die „animalischen“ Zutaten gegen pflanzliche austauscht und seine Rezepte so anpasst, dass ich das Essen mag.

    Selbst mein pragmatischer Geist lässt sich dann einfangen, wenn sich der Genuss auch eher auf andere Dinge als die Nahrung auf dem Teller bezieht.

    Ansonsten ist Essen eben einfach Nahrungsaufnahme und das Einzige, was ich da wichtig finde, ist, dass ich tatsächlich Lebensmittel esse und nicht Chemie. Wie das „Kind“ genannt wird, ist mir dabei herzlich egal. Sprich: Ich schaue auf die Zutatenliste und nicht auf den tollen Namen, die designte Verpackung und die Produktbeschreibung.

    Mir ist es lieber, einfach nur Nudeln mit Ei zu essen als ein Gericht mit hochtrabendem Namen, das zu 80 Prozent aus Schimmelpilzen mit Aromastoffen besteht. Ist auch billiger!

  4. […]oder verwendet Olivenöl, das er irgendwann auf einer Italienreise bei einem Olivenbauern entdeckt und mitgenommen hat[…]

    Da wird einem wieder bewusst, weshalb Olivenöl einst seinen Wert als Zahlungsmittel besaß. Zumindest in Griechenland. Spontan kann ich nicht sagen, ob es im antiken Italien ebenso gewesen war.

    Als ich damals meine Eltern noch in den Urlaub begleitete, zogen wir einmal durch das Land Kretas. Denn die beiden zieht es seit jeher mehr auf ländliche Entdeckungsreise, als in die Touristenhochburgen.
    So kamen wir eines Tages in ein Dorf, irgendwo in der zivilisationsleeren Naturkulisse, welche die Straße umgab. Jenes Dorf besaß eine Gaststätte. Zwar könnte man diese besser Pizzeria nennen, doch mit der hier gewohnten Art einer Pizzeria hatte diese nichts am Hut.
    Jedenfalls weiß ich noch, dass ich meine Pizza fast in dem Olivenöl ertränkte, das dort am Tisch stand. Kein Vergleich zu der tranigen Schmiere die hierzulande im Standardhandel verkauft wird.

    […]dass er extra für mich die “animalischen” Zutaten gegen pflanzliche austauscht und seine Rezepte so anpasst, dass ich das Essen mag[…]

    Kann ich daraus schlussfolgern, dass du als einzige im Haus dieser menschenunwürdigen Ernährung frönst?
    Es gibt ja dahingehend Stimmen, die meinen, dass das nicht funktioniere. Ich jedenfalls gehöre nicht zu denen.
    Zwar ergab sich meine bessere Hälfte mal dem Vegetarismus, doch zu meiner veganen Zeit zog sie auch nicht mit und nun ist sie ohnehin wieder zum gewohnten Fleischfraß übergegangen. Und warum auch nicht. Kann doch jeder essen was er will. Und soviel mehr Aufwand ist das Selektieren der Gerichte auch nicht.

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