Frühling…erwachen?

Photobucketlles stirbt. Zellen im Körper. Katzen auf der Hauptstraße, Menschen in den Medien, Diktaturen in ihren Ländern, Knut im Zoo und ganze japanische Metropolen stehen kurz vor dem Aussterben.

Alles? Bis auf die Natur. Sie erwacht. Weckt sechs Uhr morgens mit zurückhaltender Helligkeit, die durch die halb geöffneten Jalousie das Zimmer mustert. Erfüllt die Luft mit schüchterner Wärme, die einen aufleben lassen könnte. Sanfte Wärme. Und keine heimtückische Ohrfeige winterkalter Eiskristalle, die noch vor wenigen Wochen durch eben jenen Fensterspalt strömten.

Der Chor der gefiederten Sängerknaben mischt sich mit den leisten Instrumentaltönen, die aus der Musikanlage huschen. Unaufdringliche Heiterkeit und vermeintliche Lebensfreude liegt in deren Zwitschern. Und nur sie wissen, ob sie dieses auch ernst meinen. Oder uns mit unserem Bild im Kopf betrügen.

Lebensfreude; kann diese anstecken? Von einem Besitz ergreifen? Sich in die momentane mentale Verfassung pflanzen und andere Hebel in Bewegung setzen, als die alltägliche Gleichschaltung des immer währenden Trotts.
Möglich wäre es. Zumindest wenn man erwacht und neben sich das dritte und vierte Klangbild morgendlicher Wärme wahrnimmt. Das Vierte ist die Stille der Umgebung, die Ruhe morgendlicher Menschenleere.
Die Dritte ist das gleichmäßige Atmen des geliebten Menschen neben sich.
Das Abbild friedlichen Schlafes, das einen zum Spender von Geborgenheit erhebt. Eine Aufgabe, aus der sich auch das Selbstbewusstsein nähren darf.
Der Geruch der Haare und das Gefühl von Weiblichkeit, das die Fingerkuppen umspielt.

Lebensfreude ist portioniert. Flüchtig. Räumlich wie zeitlich begrenzt. Sowie der Gesang der Vögel. Nur dass diese ihn ignorieren. Aus dem Bewusstsein ausgrenzen, um ihr Bewusstsein voll aufleben zu lassen.
Man richtet sich auf, übermüdet. Unausgeschlafen und ausgelaugt vom Schlaf. Kein drittes Atmen.
Nur das Abbild der Nutzlosigkeit, das wie ein Dämon am Selbstbewusstsein zerrt. Einzig der Geruch alter Bücher, die um den Schlafplatz verstreut liegen. Und kalte leere Wasserflaschen, die zu Boden rollen.

Das Fenster malt eine andere Welt auf das Glas. Lichtet sie ab, als Talisman. Zweidimensional im Raum. Das erdige Grün der Wiesen. Selbstbewusster Farbverlauf in Blau, am sonst so leeren Himmel. Und das barocke Lichtgewand, das sich über die Häuser legt, auf diesen strahlt und schwer zu Boden sinkt.
Die Freude darüber ist gespielt. Für sich selbst, um gegen die Leere anzukämpfen. Eine Leere, die trotz der Wärme der Kälte des Fensterglases in nichts nachsteht. Gefühle werden simuliert, um nicht zu verletzten, da man nicht verletzen will und auch nicht sollte. Der eigene Konflikt darf keinen Kollateralschaden davon tragen.

Der Rechner surrt, dröhnt die zentrifugale Schwingung der Arbeit in den Raum. Gefolgt vom Piepsen und knisterndem Laden des Monitors, dessen Röhren sich schwer auf die Tischplatte stützen.
Keine Meldungen von der isolierten Gemeinschaft.
Nur Nachrichten, welche das Weltgeschehen abstrakt erscheinen lassen. Die Realität der Aussagen einer romanhaften Fiktion angleichen. Liest man doch nur und nimmt außerhalb der Worte nichts davon wahr. Allein der Monitor ist greifbar, die darin abgebildete Schrift jedoch so unendlich weit entfernt und fremd.

Selbsttests verhöhnen einen mit der Richtigkeit der Antworten zum Thema »Befinden Sie sich in einer Depression« Einer beglückwünscht mit dem dringenden Appell einen Arzt aufzusuchen. Digitale Auswertung aufgrund vorprogrammierter Matrix, als Überbringer nettgemeinter Ratschläge.
Wie niedlich, fast schon fürsorglich.
»Keine Sorge, Volksfürsorge«
Kurzes bestaunen der persönlichen Trefferquote. Egal. Hauptsache Manie und was zu lachen. Und das Bild verschwindet.

Die Musik ist gewechselt, die Kleidung sowie der Stand der Hygiene werden folgen. Ungeachtet der Frage nach dem Wozu. Der erneute Blick aus dem Fenster zeigt, dass der Lichtschleier an den Fassaden nun gänzlich zu Boden gefallen war. Ähnlich der Motivation des doch so jungen Tages. Plötzlicher Kindstod, wie bedauerlich.

Alles stirbt. Auch die Freude des Morgens, die Lust auf den Tag, die Hoffnung auf die Zukunft. Nur die Natur erwacht, lebt auf und hält einen so ebenfalls am Leben.
Zellen sterben im Körper. Hunde in Heimen, Menschen in Gewaltorgien, die Umwelt in ihren Ländern, Tiere in deren Industrialisierung und man fragt sich, ob Aussterben nicht die bessere Alternative sei.

Einzig die Natur, sie erwacht. Oder war sie doch schon klinisch tot gewesen? Ist man somit zu sehr von dem Neutrum gesättigt. Muss die seismografische Welle denn immer erst auf dem morastischen Grund aufschlagen, damit man auch einmal wieder einen Höhepunkt erleben darf…

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