22ter Januar 2011 – Viel Erfolg beim Netzwerken!

Samstag, 7:53 Uhr. Und ich werde soeben von xing.com dazu aufgefordert mein Profil zu aktualisieren. Per Email versteht sich. Wie jegliche gute Kommunikation, denn telefonisches Belästigen wollte ich mir dahingehend verboten haben. An der Uhrzeit soll es auch nicht liegen, immerhin bin ich seit 5Uhr-irgendwas vor dem Rechner.
Berauschend finde ich nur die Zwischenüberschrift, mit der ein solcher Elektroschrott gerechtfertigt wird: »Nur 5 Minuten für mehr Erfolg« Na super, denke ich da als eifrige Xing-Karteileiche, mit wieviel wird sich dann mein bisheriger Erfolg von 0 wohl multiplizieren, um noch Reicher an Erfolg zu sein. Mit 2, 100 oder gar 102 Millionen. Und das in fünf Minuten, ich bin beglückt dieser Zeit einen einschneidenden Sinn geben zu dürfen. Möchte auf Knien danken. Tue ich aber nicht, da mir der heutige Tag schon in seiner Grundstruktur missfällt und ich nun lieber 25 Minuten mit dem Tippen dieser Aktualisierung verbringe. Damit sich mein Erfolg wenigstens unter Null begibt. Als reelle Zahl…das hat wenigstens Substanz und Persönlichkeit. Zeigt von gewollter Ignoranz der Person und nicht von auferlegtem Desinteresse.

»Liebes Mitglied Guldhan, das letzte Update Ihres XING-Profils liegt bereits einige Zeit zurück« Ja bist verrückt, das ist mir ja noch gar nicht aufgefallen. Hat sich doch niemand hineingehackt und es endlich auf Fordermann gebracht. Und das nennt man Service. Somit habe ich es wohl doch ganz alleine links liegen lassen. Woran das wohl liegen könnte. Womöglich daran, dass ich nicht jeden Doktortitel meines aufregenden Lebens gleich in den virtuellen Lebenslauf erbreche. Ebensowenig mit jedem Tagesgeschehen prahle, dass einmal aus der Rolle fällt. Oder mich nicht zu meinem verdammten Lebenslauf werden lasse. Da das eigentliche Können außerhalb des Zertifikates ohnehin nur noch einen Dreck wert ist, wenn es überhaupt zur Sprache kommen darf. Weil ich nicht will, dass jeder Depp, der Xing für die Befriedigung seiner Egoneurose Geld in den Rachen schiebt, sehen kann, was für ein Versager ich doch bin, weil er ja soviel mehr Fachbegriffe platzieren konnte.

Ja ich bin bei xing. Wurde uns im Studium doch so beigebracht. Das Halten von sozialen Kontakten sei wichtig, geradezu essenziell. Somit darf man dabei auch alles in den Mund nehmen. Der Aufbau eines Fachnetzwerkes sei unvermeidbar für den Weg zu beruflichem Ruhm und zur Ehre. Latrineparolen, mehr nicht. Xing ist für mich nur eine Liste von Menschen, die mir bekannt sind. Die ich aussuchte und die mich ebenso akzeptierten. Und dabei ist es mir ebenso egal, welches Netzwerk von mir unbekannten Gesichtern sich dahinter verbirgt, so wie es jedem anderen Arsch egal ist, wer ich bin. Vorallem die, die über mein Profil treten und nicht einmal den Anstand besitzen, mich mit Nachrichten zu langweilen, deren Inhalt auch nur im Entferntesten etwas mit meinem Profil zu tun haben. »Werden sie Teamleiter für eine Versicherungswerberagentur«…Natürlich. Ich bin Kommunikationsdesigner, du Penner. Ich diene der Gebrauchskunst und schwatze keinen Rentnern dubiose Versicherungen auf, die sich dann doch weigern zu zahlen.

Liebes Mitglied…wenn ich das schon lese. Den Betreibern ist es doch scheißegal wer man ist, ob man Kontakte aufbaut und dabei lieb debil mit den Augen klimpert. Ob man Netzwerke knüpft, Freundschaften pflegt, oder alleine vor dem Rechner verreckt. Das interessiert die ebensowenig, wie die Frage danach, ob man überhaupt noch »Wirklichkeit« buchstabieren kann, oder von der Pestilenz des »Real Life« befallen ist. Real Life…lernt erstmal Deutsch, ihr Säcke. Doch wer zu beschränkt ist, um sich in der einsten Sprache der Kunst und Wissenschaft auszudrücken, der sollte lieber bei seinem Inselrotwelsch bleiben. Liebes Mitglied. Ich bin kein verdammtes Mitglied und lieb bin ich schon gar nicht. Zumindest nicht hier und jetzt. Ich bin der Parasit dieser Seitenpolitik, der am liebsten extrahiert werde würde. Aber geduldet werden muss, da ja irgendwann die Möglichkeit bestünde, dass ich nicht mehr weiß wohin mit meinem Reichtum und dann die buddhistische Erlösung in der Premium-Mitgliedschaft zu finden erhoffe. Doch bis dahin nutze ich die Seite nur ab, kritisiere und verursache maßlose Kosten.
Zumal mir auch die Gruppen sonstwo vorbeigehen. Wie mir überall die Gruppen sonstwo vorbeigehen. Da darin sowieso nur Nichtigkeiten in den Bildschirm gekleckert werden. Weil man die Gruppen nur des jung-dynamischen Namens wegen sammelt, anstatt sich für dessen Aufblühen einzusetzen. Die Gruppe als Trophäe, da die eigene Beschränktheit keine derartige Formulierung im Profil zulässt. Man ist ja zu bieder und stumpfsinnig, um es persönlich zu tippen. Aber kokett genug, um das als Zaunpfahl zu missbrauchen. Oder man will besondern sozial engagiert oder witzig wirken. Aber was schreibe ich überhaupt…Entschuldigung, ich sah soeben ein paar Ausschnitte von Serdar Somuncus Bühnenpräsens…schätze das färbte ab.

4 Gedanken zu „22ter Januar 2011 – Viel Erfolg beim Netzwerken!

  1. Liebes Mitglied Guldhan,

    natürlich ist dem Betreiber egal, ob du ihn lieb hast. Er lebt allein davon, dass du partizipierst. Soziale Netzwerke leben von Aktivität, pflegt man seine Netze nicht, isolieren sie sich. Man vereinsamt virtuell. Fast so wie im echten Leben. Der Unterschied: Netze sind nicht nachtragend, sie fragen auch nach Monaten noch höflich nach deinem Verbleib, während ein anderer Bekannter sich nach 2 Versuchen wohlmöglich nie wieder meldet.
    Dem ein oder anderen mag das leichter erscheinen. Die Folgen sind fatal.

  2. Wenn die sozialen Netzwerke von meiner Aktivität leben, so bin ich ja erst recht deren Untergang. Ich bin Eremit. Und zwar freiwillig. Die einzigen sozialen Netzwerke die ich aus Bits und Bytes knüpfe, laufen über den »Instant Messenger« (das lasse ich mal als Fachbegriff stehen, da es eingedeutscht nicht weniger dämlich klingt) und jener essayhaften Belästigung dieser Seiten. Ansonsten legte ich die Anteilnahme der anderen Sammelstellen auf Eis.
    Davon mal abgesehen, dass es ohnehin nur wenige Seiten waren. Und meist erfolgte die Registrierung nur aus Gruppenzwang oder rein zweckdienlichen Gründen. Solchen Humbug wie mySpace oder facebook tat ich mir ohnehin noch nie an. Warum auch. Meine Abwesenheit wird nicht gerade als Verlust für die Menschheit betrachtet, also was soll ich da. ;)

  3. Stimmt. Du bist als Eremit bekannt, jedenfalls in sozialen Netzwerken. Glücklicherweise teilst du Dich in diesem Blog mit und erweiterst deine selbstgewählte Isolation nicht auf alle Bereiche des Lebens. Denn dann, lieber Guldhan, würdest du die Welt wieder ein Stück ärmer mach. :)

  4. Eine komplette Isolation in aller Radikalität ist auch fern der menschlichen Natur. Und ich bin nun einmal Mensch. Aber dennoch liebe ich die Ruhe und Freiheit des stark eingegrenzten sozialen Netzwerks. Manche haben Freude daran, wenn in ihrem Messanger sieben Kommunikationsaufrufe gleichzeitig aufblinken (Bei mir existieren darin gerade einmal sieben Namen). Und fühlen sich schon alleingelassen, wenn das Telefon nicht mindestens 1x in der Stunde klingelt oder sie jeden Abend jemand anderes in das Nachtleben oder tagsüber ins Stadtcafe zerrt.
    Aber auch diese benötigen in der Woche ein paar Minuten der isolierten Ruhe, um wieder zu sich selbst zu finden. So wie ich in der Woche nur ein paar Minuten der Kommunikation brauche, um nicht zu vereinsamen. Hätte ich noch eine Hund sogar noch weniger.

    Natürlich kann ich auch mit dem anderen Extrem umgehen und habe kein Problem damit, als Dozent fünf oder sechs Stunden durchzulabern. Im Gegenteil, es macht je nach Zuhörerschaft sogar Spaß. Aber ich kann auch wochenlang schweigen. Denn im Grunde liebe ich die Tage, an denen ich kein Wort sagen muss. Es sei denn, ich will es so oder weiß, dass sich hier der Einsatz von gesprochener Sprache lohnt. Um einmal richtig unsympathisch zu klingen ;)

    Den Blog grenze ich da einmal aus, denn diesem untersteht ein höherer Grund als simpler Kontakt der Kommunikation wegen. Schließlich kann ein Blogeintrag schnell zur thematischen Debatte ausarten, zur Wissensaneignung. Was im gewöhnlichen Nebenbeigeplauder nur bedingt der Fall ist.

    Manchmal frage ich mich, warum man fast schon als Sonderling gilt, wenn man sich daran besinnt, dass der Mensch im Grunde ein Einzelwesen ist, das nur gelegentlich die Gemeinschaft sucht. Und kein Gemeinschaftswesen, das nur im Badezimmer seine Ruhe haben will. Zumindest wenn kein Kamerateam dabei ist.

    […]Denn dann, lieber Guldhan, würdest du die Welt wieder ein Stück ärmer mach. :)[…]

    Das möchte ich einmal so im Raum stehen lassen. Darüber können dann Rezensenten meiner Memoarien sinnieren.

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